Der Brahmane, der „huṁ“ sagte
Übersetzung von „On the brahmin who said ‚huṁ‘“ von Bhikkhu Sujato, 2024
Das vierte Sutta des Udāna (Ud 1.4) betrifft einen bestimmten Brahmanen, dem der Buddha kurz nach seinem Erwachen begegnete. Es trägt den Titel Huṁhuṅkasutta. Es findet sich auch im Vinaya, wo es Ajapālakathā genannt wird. Im Vinaya ist es Teil einer fortlaufenden Erzählung über die ersten Tage nach dem Erwachen, und so bestätigt es, dass es tatsächlich die erste Begegnung ist, die der Buddha als Buddha mit einem anderen Lebewesen hatte.
Von dem Brahmanen heißt es, er äußere die Silben huṁ, huṁ. Der Kommentar interpretiert das als Zeichen für seine Arroganz und Einbildung, und soweit ich weiß, sind dem alle Übersetzer gefolgt (Brahmali, Anandajoti, Strong, Ireland, Thanissaro usw.), und auch ich tat das in der Vergangenheit.
Wie, wenn wir alle falsch gelegen hätten?
[In diese Aufzählung können wir noch Karl Seidenstücker und Maitrimurti/Trätow einreihen. Fritz Schäfer ging aber mit „ein Mantras murmelnder Brahmane“ einen anderen Weg. A.d.Ü.]
Die Chāndogya-Upaniṣad
Wer meine Arbeit über die Lehren des Buddha als Dialog mit den Menschen um ihn herum verfolgt hat, weiß sicher, dass ich häufig auf die Bṛhadāraṇyaka-Upaniṣad verweise, die älteste, längste und bedeutendste der brahmanischen Upaniṣaden und die, mit der der Buddha die engste Verbindung hatte. Ich glaube, wir haben genügend Hinweise, die den Schluss erlauben, dass es diese Tradition war, in der der Bodhisatta vor seinem Erwachen studierte.
Doch die Suttas kennen vier upaniṣadische Traditionen, darunter auch eine Gruppe, die als die „Chāndogya-Brahmanen“ bekannt ist und die die Chāndogya-Upaniṣad studierte. Und während Verbindungen zur Bṛhadāraṇyaka am häufigsten sind, fehlen doch in den Suttas auch Anspielungen auf die Chāndogya und Verbindungen zu ihr nicht.
Jede der Upaniṣaden ist mit einem bestimmten vedischen Text assoziiert und betont die Besonderheit dieses Textes. Die Bṛhadāraṇyaka ist Teil der Yajurveda-Tradition und betont die Handlung des Rituals und des Opfers. Sie beginnt mit einer langatmigen Besprechung der mystischen Bedeutung des Pferdeopfers. Es ist kein Zufall, dass hier der Ort ist, an dem wir das Aufkommen der Doktrin vom Karma finden.
So wie es die Absicht der Bṛhadāraṇyaka ist, die mystische und kontemplative Weisheit, die implizit in den Handlungen des Rituals liegt, auszuweiten, legt die Chāndogya die Bedeutung der Worte des Rituals offen. Sie gehört zur liturgischen Tradition des Sāmaveda und wurde von jenen brahmanischen Priestern studiert, die die Liturgie rezitierten.
Die mystischen Silben (stobha)
Das erste Kapitel der Chāndogya legt die Bedeutung der Liturgie dar, besonders wie sie in der mystischen Silbe om enthalten ist, die udgītha genannt wird, „das laut Vorgetragene“. Das udgītha steht am Anfang jedes Rituals.
Nun gibt es in diesem Kapitel zwölf Abschnitte, die vom udgītha handeln. Der dreizehnte und letzte Abschnitt wendet sich einem nebensächlichen Thema zu, den stobha oder tonalen Interjektionen. Diese werden im Laufe des Rituals geäußert. Es sind Silben, die an sich bedeutungslos sind, denen aber die Chāndogya eine kontemplative Bedeutung innerhalb der Liturgie zuordnet.
Zwölf solchen Silben werden in Chāndogya-Upaniṣad 1.13 spezifische Bedeutungen zugeschrieben:
Ayam vāva lokaḥ hāukāraḥ, diese Erde [wird erkannt durch] die Silbe ‚hāu‘; vāyuḥ hāikāraḥ, Luft durch die Silbe ‚hāi‘; candramā athakāraḥ, der Mond durch die Silbe ‚atha‘; ātmā ihakāraḥ, das Selbst des Einzelnen durch die Silbe ‚iha‘; agniḥ īkāraḥ, Feuer durch die Silbe ‚ī‘. Āditya, die Sonne, wird durch die Silbe ū repräsentiert; nihava, die Willkommenshymne, durch die Silbe e; die Viśvadeva-Götter durch das Stobha auhoyi; Prajāpati durch das Stobha hiṁ ; prāṇa durch das Stobha svara; Nahrung durch das Stobha yā; und Virāṭ durch das Stobha vāk.
Dann haben wir das dreizehnte und letzte stobha des dreizehnten und letzten Abschnitts des Kapitels (1.13.3). Die Zahl dreizehn kommt wiederholt im Text vor und hat sicher eine Bedeutung; es ist die Portion, die von dem vollständigen Zyklus von zwölf (Monaten usw.) übrig ist. Das letzte stobha ist gemäß der Chāndogya die vedopaniṣad selbst, die verborgene Bedeutung oder Verbindung des Veda. Sie steht im Gegensatz zu den zwölf stobhas, die mit einem einzigen Begriff beschrieben werden.
Vom dreizehnten stobha heißt es, es sei anirukta und saṁcara. Anirukta heißt „unbestimmt“, „undeutlich“, „nicht aussprechbar“. Das hat eine praktische Bedeutung: Im Unterschied zum „laut vorgetragenen“ udgītha wird dieses eben noch gemurmelt, kaum hörbar. Aber seine fehlende Hörbarkeit ist seine „geheime Bedeutung“, denn es ist die nicht ausdrückbare Wirklichkeit, die die primordiale Göttlichkeit ist, brahman. Das ist der Grund, warum es das letzte Wort über die Deutung des Sāma ist; gerade wie die höchste Handlung die Ruhe ist, so ist der höchste Ausdruck die Erkenntnis, dass die Wirklichkeit nicht ausgedrückt werden kann. Die Deutung der Liturgie bewegt sich unausweichlich zur Stille jenseits der Liturgie hin.
Und diese Bewegung spiegelt sich hier in der ungewöhnlichen Wahl saṁcara wider. Muttersprachliche Kommentatoren sagen, das könne bedeuten, dass die Bedeutung des Wortes variabel ist, dass jeder es in seiner Meditation deuten kann, wie er möchte; oder dass es das Innewohnen der Göttlichkeit ist, die sich in allen Dingen bewegt.
Diese dreizehnte mystische Silbe, unbestimmt und sich stets verändernd, ist huṁ.
Unser nicht namentlich genannter Brahmane ist nicht irgendeine zufällige Karikatur eines arroganten Priesters. Er ist ein Anhänger des Sāmaveda, einer der Chāndogya-Brahmanen, einer, der versteht, dass die höchste Wahrheit der Göttlichkeit nur durch das ausgedrückt werden kann, was nicht aussprechbar ist.
Phonetik
Die Silbe huṁ hat keine Bedeutung, aber sie ist auch nicht beliebig. Die Hauptvokale des Sanskrit haben eine Reihenfolge: a, i, u, wobei das a mit vollständig geöffnetem Mund erzeugt wird und das u mit fast geschlossenem Mund.
Daher spiegelt die Wahl des u hier den Platz der Silbe als letzter der stobha wieder, den geschlossensten und phonetisch unbestimmtesten Laut unmittelbar vor der Stille.
Die Langlebigkeit der Silbe huṁ
Obwohl sie mit der Allgegenwart der Anfangssilbe om nicht konkurrieren kann, war der Silbe huṁ dennoch eine bedeutende Karriere in späteren Hindutexten beschieden, wo wir Wendungen wie huṁkāra (Huṁ-Macher) häufig antreffen. Wir finden sogar die verdoppelte Form huṁhuṁ wie in unserem Sutta, zum Beispiel in dem späteren literarischen Werk Bṛhatkathāślokasaṁgraha 21.146.
Sie wurde im Shaivitetantra in den Vordergrund gestellt, und es gibt sogar ein ganzes Tantra, das ihr gewidmet ist, das Hūṅkāratantra. Von da wurde sie von den Tibetern übernommen in Texten wie dem Ḍākārṇavatantra, wo es heißt, sie werde am Ende aufgesagt, womit ihre phonetische Eigenschaft genauso widergespiegelt wird wie in der Upaniṣad.
Sie hat bis heute nicht an Popularität verloren, so sehr, dass die Meisten, die das hier lesen, sie wahrscheinlich irgendwann aufgesagt haben. Sie behält ihren Platz als letzte Silbe in dem berühmtesten Mantra überhaupt: om mani padme huṁ.
So wird genau die Silbe, die der Buddha als Beispiel für den Mystizismus anführte, dem wir nicht folgen sollen, 2.500 Jahre später von Buddhisten als mystische Silbe benutzt.
Der Rest des Sutta
Das Sutta selbst ist kurz. Der Brahmane zeigt keine Zeichen von Selbstgefälligkeit. Vielmehr begibt er sich zum Buddha, als dieser aus der Meditation herausgetreten ist, und fragt höflich, was einen wahren Brahmanen ausmache, worauf der Buddha mit einer einzigen Strophe antwortet.
Wie gewöhnlich ist der Großteil des Textes, sowohl der Prosa als auch der Strophe, Teil des gemeinsamen Vokabulars der Suttas und ist nicht für dieses Sutta charakteristisch.
Es gibt allerdings zwei ungewöhnliche Wendungen, die beide auch in der Chāndogya vorkommen.
Nikkasāvo, „frei von Flecken“, kommt anderswo nur in Strophen und in der Verneinungsform vor; man findet den gleichen Vers sowohl in Dhp 9 und Thag 17.1. Kāsāva bedeutet „Fleck, Farbe“ und wird gewöhnlich im wörtlichen Sinn gebraucht statt wie hier als Metapher für Befleckungen. Es kommt im gleichen Sinn in Chāndogya-Upaniṣad 7.26.2 vor, mṛditakaṣāyāya, was, so glaube ich, das einzige Vorkommen in dieser Bedeutung im frühen Sanskrit ist.
Brahmavāda, „göttliche Doktrin“, kommt sonst nirgends im Pali vor. In brahmanischen Texten hat es die Bedeutung „orthodoxe vedische Doktrin“ (Atharvaveda 11.3.26a, 15.1.8a; Bṛhadāraṇyaka-Upaniṣad 14.7.3.1; Chāndogya-Upaniṣad 2.24.1), vergleichbar der Bedeutung von Theravāda „Doktrin der Altehrwürdigen“. Hier passt der Buddha, wie so oft, die Bedeutung im Sinn seiner eigenen Ziele an.
Somit haben wir drei charakteristische Begriffe, die alle in der Chāndogya zu finden sind, was die Verbindung zwischen dem Sutta und der Upaniṣad bekräftigt.
Brahmavāda ist, denke ich, besonders bedeutsam. Die vierte Zeile der Strophe lautet:
Dhammena so brahmavādaṁ vadeyya ein solcher kann rechtmäßig die göttliche Doktrin verkünden
Das zeigt das Gesamtthema des Textes als Antwort auf die liturgische Tradition. Man wird kein Sprecher der „göttlichen Doktrin“, indem man bloß verständnislos die Worte aufsagt (was die Chāndogya-Upaniṣad selbst kritisiert), und auch nicht, indem man den Worten richtige Bedeutungen zuschreibt (was die Chāndogya größtenteils lehrt), und nicht einmal, indem man durch die Silbe huṁ das Unaussprechliche ausspricht (was die esoterische, letztendliche Bedeutung der Chāndogya ist).
Ein wahrer Brahmane ist nihuṁhuṅko, „einer, der nicht ‚huṁ huṁ‘ murmelt“, sondern vielmehr einer, der den buddhistischen Pfad gemeistert und den „Veda“ verwirklicht hat, wie er vom Buddha gelehrt wurde.
Die fünfte Zeile
Die Verbindung zwischen diesem Sutta und „Stolz“ wird nur in der letzten Zeile der Strophe angedeutet. Aber eine nähere Betrachtung zeigt, dass das nicht so eindeutig ist, wie man hoffen könnte.
Nach der Erwähnung der „göttlichen Doktrin“ hat die Strophe eine fünfte Zeile. Das ist sehr ungewöhnlich, so ungewöhnlich, dass es tatsächlich die einzige Strophe mit fünf Zeilen im Udāna ist. Die Zeile selbst findet man im früheren Aṭṭhakavagga (Snp 4.3).
Hier im Udāna folgt die fünfte nachhängende Zeile auf eine Zeile, die bereits grammatikalisch vollständig ist; in der vierten Zeile antwortet das Demonstrativpronomen so auf das Relativpronomen yo der eröffnenden Zeile. Vielleicht wurde die fünfte Zeile angefügt, um die Bedeutung des Ausdrucks brahmavāda herunterzuspielen.
Aber diese fünfte Zeile ist es, in der wir das Wort ussada finden, wörtlich „geschwollen, vorstehend“. Dieses Wort wird gewöhnlich gedeutet, als meine es „stolz, eitel“; vergleiche das englische Wort „proud“ (stolz) in der Bedeutung „über eine umgebende Fläche hinausragend“.
Doch diese Bedeutung von ussada ist schwach fundiert. Es ist ein poetischer Ausdruck. Manchmal legt der Kontext, besonders im Atthakavagga, eine enge Verbindung zu „Stolz“ nahe (Snp 4.10, Snp 4.14). Aber diese Verbindung ist anderswo weniger offensichtlich (Snp 3.6, Iti 97, Ud 1.4 = Kd 1). Die Abwesenheit von ussada ist ein Zeichen für einen wahren Brahmanen (MN 98, Dhp 400, Snp 3.9).
Das Wort wird in unserem ältesten Suttakommentar, dem spätkanonischen Text Niddesa, kommentiert. Dieser bringt es nicht speziell mit Stolz in Verbindung, sondern erklärt es als siebenfach: Gier, Hass, Täuschung, Einbildung, Ansichten, Verunreinigungen und Taten (Mnd 10:105.4). Der Ehrwürdige Bodhi gibt es in seinen jüngsten Übersetzungen wörtlich mit „Schwellung“ (swelling) wider.
Somit ist die fünfte Zeile selbst von zweifelhafter Authentizität, und das Wort darin, das als „Stolz“ verstanden wird, enthält nicht eindeutig diese Bedeutung.
Der Erzählfluss
Lassen Sie uns zum Schluss kurz den Kontext der Erzählung oder der Struktur betrachten. Dieses Sutta erscheint an einem der kritischen Punkte in der Geschichte des Buddha, es berichtet buchstäblich die ersten Worte, die er nach dem Erwachen zu einem anderen Wesen sprach. Wie es mit dem Brahmanen weiterging, erfahren wir nicht.
Wenn wir ähnliche Schlüsselpunkte zum Vergleich heranziehen, wird ein Muster erkennbar. Als der Buddha unter seinen früheren Lehrern studierte, übte er unter den allerbesten Meditationsmeistern der upanṣadischen Tradition seiner Zeit. Das verleiht seiner Kritik an ihren Lehren Kraft; eine belanglose Doktrin zu widerlegen, ist nichts Besonderes. Im Dīgha-Nikāya begegnet der Buddha nach den ersten beiden Lehrreden, von denen jede auf ihre Art machtvoll ist, einem brahmanischen Lehrer und bekehrt ihn: Pokkharasādi. Dieser war einer der angesehensten und einflussreichsten Lehrer seiner Zeit, und die Auswirkungen seiner Bekehrung strahlen ihr Echo durch den Dīgha-Nikāya. Am Ende des Suttanipāta unterweist der Buddha sechzehn brahmanische Meditationsschüler, die alle Schüler eines berühmten Meditationsmeisters sind.
Somit wollten die Bearbeiter an herausragenden Stellen machtvolle Augenblicke einschließen, in denen der Buddha auf die allerbesten der bestehenden religiösen Traditionen einging. Einen einzelnen stolzen Brahmanen zu tadeln, ist keine große Sache, da es etwas ist, für das er in seiner eigenen Tradition ohnehin getadelt worden wäre.
Hier, in diesem besonderen Augenblick, begegnete der Buddha einem Mystiker, einem Anhänger der Stille, die auf das Ende aller Worte folgt, einem, dessen Leben dem wahren Sinn geweiht war, nicht der oberflächlichen Bedeutung, dessen, was es heißt, ein Brahmane zu sein.
So lässt uns das Verständnis des historischen Kontexts den Sinn dieses Sutta als Ganzes erhöhen, seine Bedeutung über eine zufällige Begegnung hinaus erheben, und lässt es eine Aussage treffen, deren spirituelle Relevanz heute noch genauso machtvoll ist.


