Dhammaregen-Newsletter April 2023
Neues rund um Dhammaregen und frühe buddhistische Texte
Der heutige Newsletter verfolgt eine Geschichte von einer Verfolgung zu ihren Ursprüngen zurück, stellt Betrachtungen über die Kürze des Lebens an und wirft einen neugierigen Blick in die kleine Sammlung Itivuttaka. Außerdem weist er auf neue Aufsätze in deutscher Sprache auf SuttaCentral hin (s. unten).
Von schwarzen und weißen Mäusen
Irgendwann vor vielen Jahren, bevor ich noch dem Buddhismus begegnete, pries ein Freund eine Schallplatte an, auf der der Gitarrist David Qualey eine alte Dame begleitet, deren Name mir nicht mehr einfällt und die ein Gedicht von Friedrich Rückert aufsagt. Die Begeisterung des Freundes führte dazu, dass ich mir die Schallplatte kaufte, und ich liebte sie! Ja, Schallplatte, Sie lesen richtig: die großen runden schwarzen Dinger aus Vinyl, die man mit einer Nadel abspielt. Und sie stammt aus einer Zeit, als die Leute noch die Geduld hatten, sich ein Stück von zehn Minuten Länge anzuhören …
Durch einen Zufall wurde ich an diese Aufnahme wieder erinnert und fand sie doch tatsächlich im Internet! Hier ist sie:
Ich hoffe, Sie finden ebenfalls Freude daran.
Das Gedicht faszinierte mich damals, und heute fragte ich mich nun, wo wohl die Ursprünge dazu liegen. Das Ganze hat einen sehr buddhistischen Anklang, aber ich erinnere mich nicht an eine solche Geschichte aus den frühen Texten. Doch ein Benutzer von SuttaCentrals Diskussionsforum konnte mir einen Tipp geben: Die Autorin Monika Zin hat eine ganze wissenschaftliche Arbeit darüber geschrieben!
Hier ein kleiner Auszug in deutscher Übersetzung:
Die Parabel vom „Mann im Brunnen“ war als Teil der Welle für vergleichende Untersuchungen literarischer Motive, die im 19. Jahrhundert aufkam, lange vor Vogel Gegenstand indologischer Forschung, und die Geschichte war daher in Europa bekannt. Friedrich Rückert, der Pionier für orientalische Studien und auch ein beliebter deutscher Dichter, veröffentlichte 1823 die Übersetzung der Parabel auf der Grundlage des Gedichts des Persischen Sufimystikers Rûmi aus dem 13. Jahrhundert. Rückerts Gedicht machte die Parabel in Deutschland allgemein bekannt, und wenig später begannen andere Fassungen zu zirkulieren, einschließlich solcher aus Indien.
1859 konnte Theodor Benfey die erste Übersicht über die Verbreitung der Parabel herausbringen, 1860 gefolgt von Felix Liebrecht und 1888 von Ernst Kuhn. Kuhn zeigte zweifelsfrei, dass die Parabel ursprünglich aus Indien kam, da ihre Elemente aus früheren indischen Quellen bekannt waren: Auf die Verfolgung durch einen Elefanten und den Sturz in eine Grube als Gleichnisse wird schon in der Brhadāranyakopanisad Bezug genommen. Heute ist unser Wissen über die Parabel noch weitgehender: Wir wissen, dass sie im Mahābhārata und in vier Jaina-Quellen wiedergegeben wird. …
Die buddhistischen Quellen haben in indischen Sprachen nicht überlebt, aber wir haben sechs chinesische Übersetzungen. … Es gibt auch eine tibetische Version, aber sie unterscheidet sich stark von den indischen.
Die Quellen unterscheiden sich durch Vorhandensein oder Fehlen bestimmter Elemente der Parabel und auch in der Erklärung der Allegorie.
Rûmi hat offenbar den Elefanten durch ein Kamel ersetzt, das in seiner Kultur wohl vertrauter war.

Was mich damals an dem Gedicht packte und verblüffte, war die Tatsache, dass es zwar keinen Zweifel an der Vergänglichkeit unseres Lebens und der prekären Situation, in der wir uns befinden, geben kann, dass wir aber dennoch die meiste Zeit so leben, als hätte unser Leben kein Ende.
Und natürlich ist das ein Thema, über das der Buddha gesprochen hat, auch wenn genau diese Geschichte uns in unserer Tradition nicht erhalten wurde. Es gibt aber andere, und eins meiner liebsten Suttas zu dem Thema ist das von dem legendären Lehrer Araka.
Ein Lehrer des kurzen Lebens
Der Lehrer Araka lehrte seine Schüler folgendermaßen:
Brahmanen, das menschliche Leben ist kurz, knapp und flüchtig, voller Leiden und Bedrängnis. Seid bedacht und wacht auf! Tut das Gute und führt das geistliche Leben, denn niemand, der geboren ist, kann dem Tod entrinnen.
Es folgen viele äußerst anschauliche Gleichnisse, die die Kürze des Lebens illustrieren sollen, wie etwa:
Wie ein Tautropfen an der Spitze eines Grashalms: Wenn die Sonne aufgeht, verdunstet er rasch und bleibt nicht lange erhalten. Ebenso gleicht das menschliche Leben einem Tautropfen: Es ist kurz und flüchtig, voller Leiden und Bedrängnis. Seid bedacht und wacht auf! Tut das Gute und führt das geistliche Leben, denn niemand, der geboren ist, kann dem Tod entrinnen.
Das Verblüffende kommt aber am Ende, als der Buddha erklärt:
Nun hatten damals, Mönche und Nonnen, die Menschen eine Lebensdauer von 60.000 Jahren. Mädchen kamen mit 500 Jahren ins heiratsfähige Alter. Und die Menschen hatten damals nur sechs Beschwerden: Kälte, Hitze, Hunger, Durst, Stuhl- und Harndrang. Und obwohl die Menschen so lange lebten und fortbestanden und so wenig Beschwerden hatten, lehrte Araka dennoch: ‚Das menschliche Leben ist kurz, knapp und flüchtig, voller Leiden und Bedrängnis. Seid bedacht und wacht auf! Tut das Gute und führt das geistliche Leben, denn niemand, der geboren ist, kann dem Tod entrinnen.‘
Lesen Sie das ganze Sutta AN 7.74.
Und ein Appetithäppchen aus dem Itivuttaka
Der jüngste Zuwachs auf Dhammaregen ist das Itivuttaka, eine, ja, beinahe unscheinbare kleine Sammlung, sozusagen ein Mini-Aṅguttara vom Einer- bis Viererbuch.
Die Überlieferung besagt, dass diese Sammlung als einzige im Palikanon nicht von den Mönchen zusammengestellt wurde, sondern von der Laienfrau Khujjuttarā, einer Magd der Königin Sāmāvatī von Kosambi, die zur Dhammalehrerin für ihre Herrin und alle Hofdamen wurde.
Inhaltlich finden wir in dieser Sammlung nichts grundlegend Neues, ja, die einzelnen Texte wirken fast ein wenig langweilig in ihrer Schlichtheit und Gleichförmigkeit. Bhante Sujato schlägt vor, dass eine gute Anwendung sein könnte, sich je eins der Suttas für einen Tag als Thema zur Meditation und Kontemplation vorzunehmen. So lautet z. B. das erste Sutta:
Das wurde vom Buddha, dem Vollendeten, gesagt; das habe ich gehört:
„Mönche und Nonnen, gebt ein Ding auf, und ich garantiere euch die Nichtwiederkehr. Welches eine Ding? Gier ist das eine Ding. Gebt es auf, und ich garantiere euch die Nichtwiederkehr.“
Der Buddha sprach diese Sache. Dazu wird gesagt:
„Wenn die Wesen von Gier überwältigt sind, gehen sie zu einem schlechten Ort. Wenn sie diese Gier richtig verstanden haben, geben die Klarsichtigen sie auf. Wenn sie sie einmal aufgegeben haben, kehren sie nie mehr in diese Welt zurück.“Auch das ist eine Sache, die vom Gesegneten gesprochen wurde: Das habe ich gehört.
Ob Sāmāvatī und ihre Hofdamen das so gemacht haben, wie Bhante Sujato vorschlägt, ist nicht überliefert; es heißt aber, sie seien alle in den Strom eingetreten, sodass es ein naheliegender Gedanke ist, dass sie nun für die Nichtwiederkehr üben. Wie dem auch sei, ich finde den Gedanken schön, diese kurzen Texte als Kontemplationsthemen für einen Tag (oder auch länger) zu nehmen, und wünsche viel Freude damit!
Vereinzelt finden wir aber im Itivuttaka auch Suttas, die an sich einen interessanten Inhalt haben. Eins davon ist Iti 74. Es geht um das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern:
Mönche und Nonnen, drei Arten von Kindern findet man in der Welt. Welche drei? Eins, das über seine Geburt hinauswächst, eins, das seiner Geburt ebenbürtig ist, und eins, das hinter seiner Geburt zurückbleibt.
Lesen Sie selbst, was es damit auf sich hat.
Neu auf Dhammaregen
Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Suttas hinzugefügt:
MN 19-20; MN 118-119
SN 55.23-74; damit ist der Saṁyutta-Nikāya jetzt vollständig
Iti 1-25; Iti 28-73; Iti 75-77; Iti 79-90; Iti 92-105; Iti 107-112: damit ist das Itivuttaka jetzt vollständig
Übersicht über alle Übersetzungen
Neu auf SuttaCentral
Es wurden zwei weitere von Bhante Sujatos Leitfäden über die Nikāyas ins Deutsche übersetzt:
Die Verbundenen Lehrreden: Blaupause für die buddhistische Philosophie
Die Langen Lehrreden: der Dhamma als Literatur und Zusammenstellung
Sutta-Erkundungen
Die Sutta-Erkundungen sind ein monatliches Online-Format zum Studium der Suttas in einer Gruppe, das sich an die lectio divina aus der alten christlichen Klostertradition anlehnt. Das ermöglicht ein eher meditatives Herangehen an die Suttas. Die Sutta-Erkundungen finden jeden ersten Freitag im Monat statt.
Nächste Termine: 7. April, 5. Mai und 2. Juni 2023, jeweils 18:30 – 20:00 h MEZ.
Bei Interesse senden Sie bitte eine Email an dhammaregen@gmail.com. Sie werden dann eine Einladung mit den Zoom-Zugangsdaten erhalten.
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