Dhammaregen-Newsletter August 2021
Neues rund um Dhammaregen und frühe buddhistische Texte
Diesmal befasst sich der Newsletter im Wesentlichen mit einem einzigen Sutta, dafür aber etwas ausführlicher. Außerdem hat er die Ankündigung für Teil 2 des Dhammaregen-Erklärvideos sowie ein paar technische Neuerungen im Gepäck (siehe weiter unten).
Der Gründungsmythos des Nonnenordens

Wenn man sich mit dem Aṅguttara-Nikāya-Achterbuch befasst, kommt man nicht umhin, sich auch mit AN 8.51 auseinanderzusetzen, einem Sutta, das schon zu viel Verwirrung geführt hat. Der Text hat eine Parallele im Vinaya und berichtet, wie der Buddha es zunächst entschieden ablehnt, den Nonnen die Möglichkeit der Ordination zu eröffnen; erst als Ānanda das Argument vorbringt, der Buddha habe schließlich gegenüber seiner Stiefmutter, die ihn nach dem Tod der leiblichen Mutter großgezogen habe, eine Verpflichtung, willigt er widerstrebend ein. Aber er erlegt den Nonnen acht Sonderregeln auf, die „acht zu achtenden Grundsätze“, die ihnen eine untergeordnete Position unter der der Mönche zuweisen. Und gleich anschließend stellt er fest, dass jetzt, da es einen Nonnenorden gebe, die Lehre nur noch halb so lange bestehen könne. Dazu bringt er ein paar drastische Bilder, mit denen er die Nonnen vergleicht:
AN8.51:28.1 „… Wie ein heranreifendes Reisfeld: Sobald es von der Krankheit genannt ‚Weißknochen-Krankheit‘ befallen wird, besteht es nicht lange. Ebenso besteht das geistliche Leben in einer Lehre und Schulung, in der Frauen das Fortziehen gewährt wird, nicht lange.Wie ein heranreifendes Feld mit Zuckerrohr: Sobald es von der Krankheit genannt ‚Rotfäule‘ befallen wird, besteht es nicht lange. Ebenso besteht das geistliche Leben in einer Lehre und Schulung, in der Frauen das Fortziehen gewährt wird, nicht lange.
Wie wenn ein Mann als Vorsichtsmaßnahme einen Deich um einen großen See herum baut, damit das Wasser nicht überfließt, ebenso habe ich als Vorsichtsmaßnahme die acht zu achtenden Grundsätze verordnet, die zeitlebens nicht übertreten werden sollen.“
Nonnen im Orden sind eine Krankheit, an der die Lehre vorzeitig zugrunde gehen wird … ist das wirklich der Buddha, den wir kennen?
Hier nun möchte ich einen kleinen Blick auf die textkritische Forschung werfen. Ihre ersten Anfänge reichen etwa ein- bis zweihundert Jahre zurück, aber sie steckt immer noch in den Kinderschuhen. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass viele Texte aus dem chinesischen Kanon, die für vergleichende Untersuchungen herangezogen werden könnten, bis heute nicht in moderne Sprachen übersetzt sind, ja manche Texte wurden in den letzten Jahrzehnten überhaupt erst entdeckt.
Wenn man unser Sutta näher anschaut, so enthält es einige Widersprüche und Unstimmigkeiten, von denen ich ein paar hier anführen will.
Die Darstellung, dass sich der Buddha so gegen die Nonnenordination wehrt, widerspricht Aussagen an anderen Stellen im Kanon, wo deutlich wird, dass er von Anfang an vorhatte, eine vierfache Gemeinschaft zu begründen: Mönche und Nonnen, Laienfrauen und Laienmänner. Darauf weist ihn Māra, der „Böse“, etwa in diesem Sutta des Saṁyutta-Nikāya hin:
Herr, du hast einmal erklärt:
‚Böser, ich werde nicht vollkommen erlöschen, bevor ich nicht Mönchsschüler habe, die fähig sind, gebildet, selbstbewusst, gelehrt, die die Lehren im Gedächtnis haben und im Einklang mit der Lehre üben; bevor sie nicht richtig üben und im Einklang mit der Lehre leben; bevor sie nicht die Lehre ihres Lehrers gelernt haben und sie erklären, lehren, feststellen, etablieren, klarstellen, aufgliedern und enthüllen; bevor sie nicht die Lehren anderer, die aufkommen, rechtmäßig und vollständig widerlegen und auf einer beweisbaren Grundlage lehren können.‘
…
‚Böser, ich werde nicht vollkommen erlöschen, bevor ich nicht Nonnenschülerinnen habe, die fähig sind, gebildet, selbstbewusst, gelehrt …‘ …
…
‚Böser, ich werde nicht vollkommen erlöschen, bevor ich nicht Laienmänner als Schüler …
und Laienfrauen als Schülerinnen habe, die fähig sind, gebildet, selbstbewusst, gelehrt …‘ …
Nach dieser Passage zu urteilen, brauchte der Buddha nicht überredet zu werden, um die Ordination von Nonnen zu erlauben.
Möglicherweise gab es auch bereits buddhistische Nonnen vor Mahāpajāpatī Gotamī. In den Therīgāthā finden wir Bhaddā Kuṇḍalakesās Bericht über ihre Ordination, die der Buddha selbst vornahm und nicht ein doppelter Saṅgha von Nonnen und Mönchen, wie in AN 8.51 gefordert:
Ich beugte das Knie und verbeugte mich
und hob meine zusammengelegten Hände vor ihm.
„Komm, Bhaddā“, sagte er;
das war meine Ordination.
Die Ordination mit „Komm“ (Pali: ehi) war die früheste Ordinationsform, die benutzt wurde, bevor die späteren komplexeren Ordinationszeremonien festgelegt wurden, wie wir sie heute kennen. Sie ist im Allgemeinen für Mönche bezeugt. Im chinesischen Kanon finden sich mehr Fälle dieser Ehi-Ordination für Nonnen (hier zusammengetragen von Dhammadinna Bhikkhunī), während wir im Palikanon nur diesen einen haben. Weitere Forschung ist angesagt.
Ein anderer unstimmiger Punkt ist, dass die acht Garudhammas, die „zu achtenden Grundsätze“, der einzige Fall im Vinaya sind, in dem eine Regel ohne Anlass festgelegt wurde. Normalerweise finden wir einen Vorfall, in dem jemand sich unangemessen verhält, und daraufhin legt der Buddha eine Regel über das angemessene Verhalten fest. Hier hingegen hat kein unangemessenes Verhalten stattgefunden, und trotzdem werden diese acht recht drastischen Regeln festgelegt.
Im Segment 9.7 unseres Sutta finden wir einen abgebrochenen Satz, was im Kanon gelegentlich, aber selten vorkommt. Solche Stellen weisen auf Änderungen des Textes hin, entweder indem etwas verloren ging oder etwas hinzugefügt wurde.
„Wenn eine Frau, nachdem sie fortgezogen ist, die Frucht des Stromeintritts, der Einmalwiederkehr, der Nichtwiederkehr und der Vollendung erlangen kann –
Herr, Mahāpajāpatī war dem Buddha eine große Hilfe. Sie ist seine Tante und hat ihn aufgezogen, ihn ernährt und ihm ihre Milch gegeben.
Als seine leibliche Mutter starb, stillte sie ihn an ihrer Brust.
Herr, bitte gewähre Frauen in der Lehre und Schulung, die vom Klargewordenen verkündet wurde, das Fortziehen aus dem Haus ins hauslose Leben.“
Es sieht fast so aus, als sei hier ein anderer Satz in leicht abgewandelter Form eingefügt worden:
Eltern sind ihren Kindern eine große Hilfe, sie ziehen sie auf, ernähren sie und zeigen ihnen die Welt.
Wurde hier etwas zusammengestückelt, um Ānanda ein Argument in den Mund zu legen, mit dem er den Buddha überzeugen konnte? Und muss der Buddha, ein vollkommen erwachter Mensch, wirklich an seine Dankbarkeitspflichten erinnert werden?
Der Ehrwürdige Nyanatiloka hat in seiner Übersetzung den abgebrochenen Satz mit dem nachfolgenden integriert, was aber von der Grammatik der Palikonstruktion nicht gedeckt ist. Bhikkhu Bodhi behilft sich mit eckigen Klammern. Schäfer und Beyerlein belassen in ihrer Übersetzung der parallelen Passage im Vinaya den abgebrochenen Satz, was auch Bhante Sujato in seiner Übersetzung dieses Sutta tut, und ich folge ihrem Beispiel.
Keiner von all diesen Punkten ist für sich genommen ein Beweis, dass dieses Sutta eine spätere Einfügung ist. Aber die Tatsache, dass viele verschiedene Punkte alle in die gleiche Richtung weisen, ist es, die Forscher zu der Schlussfolgerung führt, dass es wahrscheinlich zumindest in seiner jetzigen Form nicht zur frühesten Schicht der Texte gehört – mit anderen Worten, dass es so, wie es hier steht, nicht auf den Buddha selbst zurückzuführen ist. Wie viel genau vielleicht doch aus der frühen Zeit stammt, ist schwer zu sagen; möglicherweise können weitere Forschungen mehr Licht in die Sache bringen.
Ich möchte die Ehrwürdige Mahāpajāpatī nicht verlassen, ohne noch auf eine andere Unterhaltung zwischen ihr und dem Buddha hinzuweisen, die uns überliefert ist. In AN 8.53 bittet sie ihn um eine Unterweisung, mit der sie allein und zurückgezogen üben kann. Diese Bitte wird gewöhnlich von einem Mönch oder einer Nonne an den Buddha herangetragen, wenn sie sich gut genug vorbereitet fühlen, um sich an die letzte Etappe auf dem Weg zum Erwachen zu machen:
AN 8.53 „Herr, dass der Buddha mir in kurzer Form eine Dhammaunterweisung gebe. Wenn ich sie gehört habe, werde ich allein leben, zurückgezogen, beflissen, eifrig und entschlossen.“
Und der Buddha lehrt sie acht Grundsätze, die ihr für ihre Praxis Orientierung geben sollen.
Ist es bloßer Zufall, dass dieses Sutta fast unmittelbar benachbart zu unserem problematischen Sutta AN 8.51 zu finden ist? In beiden Suttas werden Mahāpajāpatī acht Grundsätze (dhammā) ans Herz gelegt, die in einem Fall als „zu achtende“ Grundsätze (garudhammā) bezeichnet werden. Könnte es sein, dass die acht Grundsätze in AN 8.53 sozusagen eine Blaupause für die „zu achtenden“ Grundsätze von AN 8.51 darstellten – dann allerdings mit einem völlig anderen Inhalt gefüllt? Die acht Grundsätze aus AN 8.53 würde ich mir jedenfalls gerne „mit beiden Händen nehmen und oben auf den Kopf setzen“ wie einen Schmuck!
Dhammaregen-Präsentation
Am Freitag, 13. August wird beim Tilorien-iSangha eine zweite Dhammaregen-Präsentation stattfinden, in der hauptsächlich Gelegenheit sein soll, Fragen zu stellen. Wer teilnehmen möchte und noch nicht die Zoom-Zugangsdaten des iSangha hat, kann sie über das Formular auf dieser Webseite erhalten. Die erste Präsentation ist hier zu sehen.
Neu auf Dhammaregen
Technische Neuerungen
Karl Lew hat wie immer fleißig daran gearbeitet, Dhammaregen noch besser zu machen. Für Menschen, die nicht immer die Maus benutzen wollen, und insbesondere auch solche mit reduziertem Sehvermögen, lassen sich nun die wichtigsten Funktionen auch über die Tastatur steuern.
Zusätzlich wurde die Option der dreisprachigen Ansicht hinzugefügt. Neben Pali und Deutsch ist es möglich, als dritte Sprache die englischen Übersetzungen der Texte zu sehen (aber nicht zu hören). In den Einstellungen unter „Textgestaltung“ bei „zeige Englisch“ ein Häkchen setzen; funktioniert am besten, wenn Cookies aktiviert sind. Diese Ansicht kann zum Beispiel für Menschen nützlich sein, die die Suttas als Medium benutzen wollen, um Deutsch zu lernen.
Neue Übersetzungen
Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Suttas hinzugefügt:
SN 20.7, SN 21.8, SN 46.51, SN 51.10
AN 8.1–60, AN 8.70
Ud 3.2, Ud 6.1
Übersicht über alle Übersetzungen
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