Dhammaregen-Newsletter Januar 2022
Neues rund um Dhammaregen und frühe buddhistische Texte
Anfang und Ende
Das Neue Jahr beginnt mit einem Ende: mit dem Mahāparinibbāna-Sutta, der Erzählung von den letzten Monaten im Leben des Buddha und seinem endgültigen Erlöschen. Ab Juni beginnt ein neues Online-Studienprogramm: Sutta-Erkundungen mit Bhikkhuni Santacitta und Silashin Sabbamitta, mehr dazu weiter unten.
Trauerbewältigung
Das Mahāparinibbāna-Sutta, DN 16, ist das längste Sutta des Palikanon. Es ist ganz offensichtlich ein zusammengesetzter Text, in dem viele kürzere Texte, die wir auch an anderen Stellen im Kanon finden, zu einer zusammenhängenden Erzählung verbunden wurden.
Die Entstehung dieses Sutta kann man als Ausdruck der Auseinandersetzung der buddhistischen Gemeinschaft mit dem Tod des Buddha verstehen, einem schmerzlichen Verlust, der bewältigt werden muss. Bis hierhin waren zusammenhängende biographische Erzählungen über das Leben des Buddha nicht von besonderer Relevanz. Der Buddha selbst, der bei den meisten Suttas als Redner auftritt, hat kein Interesse daran, seine Lebensgeschichte darzustellen, es sei denn, um sein eigentliches Anliegen, die Lehre, mit bestimmten Episoden daraus zu illustrieren.
Nun ist aber eine andere Situation eingetreten: Der Buddha ist gestorben, der Lehrer ist nicht mehr da – da braucht man etwas, um sich an ihn zu erinnern, und so gewinnt die Biografie erstmals eine größere Bedeutung. An mehreren Stellen in dem Text findet man am Ende einer Episode eine Stimme, die das Berichtete aus einer etwas distanzierteren Perspektive in Versen zusammenfasst, wie jemand, der vorhandenes Material aus den Nikāyas sichtet und zusammenstellt und mit ein paar Bemerkungen versieht.
Reisebericht
Das Mahāparinibbāna-Sutta ist ein Reisebericht, der die verschiedenen Stationen der letzten Wanderung eines im Ganzen nicht-sesshaften Lebens nachzeichnet. Sehr anschaulich ist das auf dieser Karte zu sehen, die Aminah Borg-Luck für SuttaCentral auf GoogleMaps erstellt hat.
Klicken Sie auf das Bild, um zur Karte auf GoogleMaps zu gehen:

Im Vollbildmodus der Karte finden Sie in der linken Seitenleiste, relativ weit unten, die „Mahaparanibbana journey“, wo Sie einzelne Stationen oder den „Mahaparinibbana trek“ anklicken können. Nehmen Sie sich Zeit, die zahlreichen Geheimnisse und Überraschungen in dieser Karte zu entdecken; es lohnt sich! 🙂
Zeitgeschichte
Das Mahāparinibbāna-Sutta gibt uns auch interessante Einblicke in die Zeitgeschichte: Zu Beginn erfahren wir, dass der König von Magadha, Ajātasattu, Vorbereitungen für einen Krieg gegen die Republik der Vajjier trifft. Und tatsächlich ist es so, dass es bald darauf in dem Gebiet, in dem der Buddha sein Leben verbracht hat, verschiedene kriegerische Auseinandersetzungen geben wird, die dazu führen, dass aus den vielen kleinen Königreichen und Republiken, die wir in den Suttas kennenlernen, ein einheitliches größeres Reich unter der Herrschaft von Magadha wird.
Später werden wir Zeuge, wie das Dorf Pāṭali zu einer Festungsstadt ausgebaut wird, ebenfalls Teil der Kriegsvorbereitungen. Die berichtete Prophezeiung über die ruhmreiche Zukunft der daraus entstehenden Metropole Pāṭaliputta (heute Patna) ist aber wohl eine spätere Einfügung.
Lehren
Und natürlich gibt es neben all den Geschichten, die im Verlauf dieses Sutta erzählt werden – ernsthaften, tiefgründigen, nachdenklichen, erschütternden und welchen zum Schmunzeln – auch Unterweisungen, die der Buddha seinen Schülerinnen und Schülern gibt. Manche von ihnen werden mehrfach wiederholt oder auf andere Art den Zuhörerinnen besonders ans Herz gelegt. Es ist das Vermächtnis, das der Buddha seinen unmittelbaren Schülern ebenso wie späteren Generationen mitgibt.
Dazu gehört eine ganze Serie von Unterweisungen über das einträchtige Zusammenleben, das dem Buddha offenbar sehr am Herzen liegt, denn er lässt eigens den Saṅgha zusammenrufen (siehe Suchstichwort „Wachstum erwarten“). Interessant dabei ist, dass bei der Version für Laien die respektvolle Behandlung von Frauen als ein Faktor genannt wird, der für das Gedeihen einer Gesellschaft eine Rolle spielt.
Eine andere wichtige Lehre ist die Lehre über die vier großen Bezugspunkte, wo erklärt wird, wie man die Authentizität von Aussagen prüft, die jemand dem Buddha zuschreibt. Für Interessierte: Bodhipaksa tut genau das auf seiner Webseite Fake Buddha Quotes (englisch).
Eine Lehre, die besonders häufig wiederholt wird, ist diese:
DN16:1.12.2-6: „So ist die Sittlichkeit, so ist die Versenkung, so ist die Weisheit. Wenn Versenkung von Sittlichkeit durchdrungen ist, bringt sie reiche Frucht und reichen Segen. Wenn Weisheit von Versenkung durchdrungen ist, bringt sie reiche Frucht und reichen Segen. Wenn der Geist von Weisheit durchdrungen ist, ist er richtig von den Befleckungen befreit: nämlich von den Befleckungen der Sinnlichkeit, des Wunsches nach Fortsetzung des Daseins und der Unwissenheit.“
Bei den Dingen, die der Buddha „aus seiner unmittelbaren Einsicht heraus“ gelehrt hat, bittet er die Zuhörerschaft, sich diese Lehren sorgfältig einzuprägen, sie zu pflegen, zu entwickeln und viel daraus zu machen, „sodass dieser spirituelle Pfad lange Zeit bestehen bleibt“. Hier geht es ausdrücklich auch um die Nachwelt:
DN16:3.50.3 „Daher, Mönche und Nonnen, sollt ihr euch diese Dinge, die ich euch aus meiner unmittelbaren Einsicht heraus gelehrt habe, sorgfältig einprägen und sie pflegen, entwickeln und viel daraus machen, sodass dieser spirituelle Pfad lange Zeit bestehen bleibt. Das wäre zum Nutzen und Glück vieler Menschen, zum Vorteil, Nutzen und Glück von Göttern und Menschen. …“
Manche der hier genannten Lehren sind auch über den Buddhismus hinaus bekannt, wie zum Beispiel die von der Insel:
DN16:2.26.1 Daher, Ānanda, lebe als deine eigene Insel, als deine eigene Zuflucht, suche keine andere Zuflucht. Lass die Lehre deine Insel und deine Zuflucht sein, suche keine andere Zuflucht.
Andere Lehren wiederum erscheinen wie Fremdkörper, die gar nicht in den Zusammenhang passen wollen, wie etwa die Lehren von den acht Versammlungen, den acht Dimensionen der Meisterschaft und den acht Befreiungen, die sich an die Aufzählung der acht Ursachen von Erdbeben anschließen; sie scheinen zusammen mit dem Erdbeben-Kapitel aus dem Achterbuch des Aṅguttara-Nikāya kopiert worden zu sein. Oder die fast schon skurrile Stelle mit Ānandas Frage nach dem Umgang mit Frauen kurz vor dem Tod des Buddha und dessen mehr als lapidarer Antwort darauf.
Blick in die Zukunft des Buddhismus
Der letzte Teil des Mahāparinibbāna-Sutta lässt uns auch einen Blick in die nähere Zukunft des Buddhismus werfen. Dazu sollte man sich vielleicht in Erinnerung rufen, dass der Text wahrscheinlich um die Zeit des zweiten Konzils, also etwa 100 Jahre nach dem Tod des Buddha, zusammengestellt wurde. Somit sind manche Dinge tatsächlich aus der Rückschau entstanden bzw. blicken auf die Ereignisse aus der Sicht der Verhältnisse, wie sie zum Zeitpunkt der Entstehung des Textes herrschten.
Eine Person, die am Ende des Mahāparinibbāna-Sutta eine zentrale Rolle einnimmt, ist der Ehrwürdige Mahākassapa. Er wird nach dem Tod des Buddha im Orden eine leitende Funktion übernehmen – oder vielleicht sollte man sagen, im Orden setzte sich eine Strömung durch, die von späteren Generationen besonders mit der Person des Mahākassapa assoziiert wird, und er wird hier stellvertretend für diese Strömung genannt. Im Vinaya erfahren wir, dass er das erste Konzil leitete, bei dem 500 Mönche die Lehrreden und die Ordenssatzung zusammentrugen und damit die Grundlage dafür schufen, dass uns diese Texte bis heute überliefert wurden.
Für eine weitere Tendenz im frühen Buddhismus finden wir ebenfalls den Grundstein im letzten Teil des Mahāparinibbāna-Sutta: die Reliquienverehrung. Sie gewinnt nach dem Tod des Buddha besondere Bedeutung, indem die Reliquien ein Ersatz für die persönliche Anwesenheit des Lehrers werden.
Im Mahāparinibbāna-Sutta wird auch beschrieben, wie die Reliquien aufgeteilt wurden, und die Sakyer, der Stamm, aus dem der Buddha kam, haben natürlich auch einen Anteil erhalten. Dieser Teil konnte offenbar tatsächlich von Archäologen identifiziert werden, wie in diesem Video berichtet (englisch):
Dieser Newsletter hat nun also ein paar Facetten dieses umfangreichen und schillernden Lehrreden-Epos zusammengetragen, aber bei weitem nicht alle. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass noch weitere Dhammaregen-Newsletter sich mit diesem Sutta oder Teilen davon beschäftigen werden. Aber lesen und hören Sie selbst!
Ankündigung: Sutta-Erkundungen
mit Bhikkhuni Santacitta & Silashin Sabbamitta
Ab Juni 2022 wird Dhammaregen in Kooperation mit Aloka-Dharma-Zoom ein monatliches Sutta-Erkundungsprogramm auf Zoom anbieten, vorerst mit drei Folgen, das bei entsprechendem Interesse verlängert wird. Bisher geplante Termine: 3. Juni | 1. Juli | 5. August.
Bei Interesse senden Sie bitte eine Email an dhammaregen@gmail.com oder melden sich auf Aloka-Dharma-Zoom an. Sie werden dann kurz vor dem jeweiligen Termin die Zoom-Zugangsdaten erhalten.
Neu auf Dhammaregen
Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Suttas hinzugefügt:
DN 16
SN 12.34-50; SN 54.9; SN 55.10; SN 56.21
Ud 8.5-6
Übersicht über alle Übersetzungen
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