Dhammaregen-Newsletter Mai 2023
Neues rund um Dhammaregen und frühe buddhistische Texte
Der heutige Newsletter wirft einen Blick auf die brahmanischen Zeitgenossen des Buddha und einige der Begegnungen, die er mit ihnen hatte.
Die Kosaler Brahmanen
Wir erfahren in den buddhistischen Texten nicht nur, was der Buddha gelehrt hat, sondern erhalten auch Einblicke in die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der Zeit. Eine der gesellschaftlichen Gruppen, deren Vertreter uns häufig begegnen, sind die Brahmanen. Diese verstehen sich offenbar selbst als die oberste Schicht der Gesellschaft, der von allen anderen Vorrang einzuräumen ist.
Welches Verhältnis hat nun der Buddha zu den Brahmanen?
Der Buddha wuchs in Kosala auf, einem Gebiet, in dem sich die brahmanische Kultur etwa ein bis zwei Jahrhunderte vor seiner Zeit verbreitet hatte. Allerdings gehörten die Kosaler Brahmanen nicht zur orthodoxen Linie, sondern bildeten eine Strömung mit eigener Philosophie und Praxis. Sie führten zwar wie auch die orthodoxen Brahmanen ebenfalls Opfer und Rituale aus, doch entwickelten sie daneben auch tiefe Meditation. Ein wichtiger Vertreter war Yājñavalkya, ein Weiser, der etwa ein- bis zweihundert Jahre vor dem Buddha gelebt hatte und dessen Lehren der Buddha gekannt haben musste, da er häufig darauf Bezug nahm.
Überhaupt scheint sich der Buddha mit den Lehren und der Mythologie der Brahmanen bemerkenswert gut ausgekannt zu haben, wenn er auch manchmal nachfragen muss, wie etwa ein bestimmtes Ritual von ihnen ausgeführt wurde. Und es war wohl so, dass seine ersten Lehrer, Āḷāra Kālāma und Uddaka Rāmaputta, brahmanische Lehrer waren, die der Strömung der Kosaler Brahmanen angehörten. Von ihnen lernte er tiefe Meditation, wandte sich dann aber ab, da er erkannte, dass diese Praxis immer noch zu einer, wenn auch äußerst subtilen und erhabenen, Form der Wiedergeburt führt.
Der Buddha begegnet auf seinen Wanderungen häufig Brahmanen, die mit ihm unterschiedliche Aspekte ihrer Lehren diskutieren. Das Gespräch verläuft oft so, dass der Buddha ihre Lehren aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und ihnen so eine neue, tiefere Bedeutung verleiht. Häufig ersetzt er dabei eine mythische Sichtweise durch stärkeren Realitätsbezug. Ein sehr häufiges Thema ist das Bestehen der Brahmanen auf der Bedeutung der Abstammung, mit der sie ihre selbst eingeforderte Vorrangstellung in der Gesellschaft rechtfertigen; der Buddha hingegen macht für den Vorrang, den ein Mensch verdient, statt seiner Abstammung sein sittliches Verhalten zum Maßstab.
Ein anderer Punkt ist, dass vor allem bei den orthodoxen Brahmanen die „Reinheit“ eines Menschen über die korrekte Ausführung eines Rituals definiert ist. Auch der Begriff kamma (= „Tat“) wurde ursprünglich so verstanden, dass das richtige Ausführen des Rituals mit Körper, Sprache und Geist als „gutes Kamma“ definiert wurde; erst später flossen moralische Überlegungen in das Verständnis von Kamma ein.
Ein Sutta, in dem der Buddha seinen Gesprächspartner einfühlsam zu diesem Schritt hinführt, ist AN 10.176. Der Schmied Cunda erklärt dem Buddha, dass er „Reinheit“ so versteht, wie sie von den „Brahmanen des Westens“ erklärt wird. Cunda selbst lebt im Bereich Kosala, d. h. dem Bereich der „östlichen“ Brahmanen. Die „Brahmanen des Westens“ dürften somit für eine orthodoxe Ausrichtung stehen. Und tatsächlich wird bei ihnen „Reinheit“ rein rituell definiert:
Bitte, liebe Leute, ihr sollt früh aufstehen und von eurem Bett aus die Erde berühren. Wenn ihr nicht die Erde berührt, berührt frischen Kuhmist. Wenn ihr keinen frischen Kuhmist berührt, berührt grünes Gras. Wenn ihr kein grünes Gras berührt, huldigt der heiligen Flamme. Wenn ihr nicht der heiligen Flamme huldigt, verehrt mit zusammengelegten Händen die Sonne. Wenn ihr nicht mit zusammengelegten Händen die Sonne verehrt, taucht dreimal ins Wasser ein, auch am Abend.
Der Buddha gibt dann seine Gegendarstellung: Er definiert Reinheit und Unreinheit nach moralischen Gesichtspunkten. Und er bringt auch den gesunden Menschenverstand ins Spiel, indem er klarstellt, dass die besten Rituale einen nicht von moralischer Schuld befreien können:
Wenn man diese zehn Wege zum Begehen untauglicher Taten besitzt und früh aufsteht, ist man eben unrein, ob man von seinem Bett aus die Erde berührt oder nicht. Ob man frischen Kuhmist berührt oder nicht, man ist eben unrein. Ob man grünes Gras berührt oder nicht, man ist eben unrein. Ob man der heiligen Flamme huldigt oder nicht, man ist eben unrein. Ob man mit zusammengelegten Händen die Sonne verehrt oder nicht, man ist eben unrein. Ob man dreimal ins Wasser eintaucht oder nicht, man ist eben unrein. Und warum? Diese zehn Wege zum Begehen untauglicher Taten sind unrein und machen die Dinge unrein.
Lesen Sie das gesamte Sutta AN 10.176.
Das Feueropfer
Ein ganz zentrales Ritual im Leben der Brahmanen ist das Feueropfer. Agni, der Feuergott, wird mit dem Leben selbst gleichgesetzt (Sanskrit agni = Pali aggi = Feuer). Ihm wird tagein, tagaus bei Sonnenaufgang und bei Sonnenuntergang von einem Haushaltsvorstand Milch dargebracht. Auch bei anderen Opfern wie Tieropfern spielt das Feuer eine zentrale Rolle. Es ist in der brahmanischen Welt allgegenwärtig.

In AN 7.47 will der Brahmane Uggatasarīra ein großes Tieropfer mit vielen hundert Tieren darbringen. Bevor er zur Tat schreitet, unterhält er sich mit dem Buddha darüber. Dieser erklärt zunächst, dass das vermeintliche Verdienst, das jemand mit einem solchen Opfer schaffen möchte, in Wahrheit schlechtes Karma ist. Dann wechselt er vom Thema des Opferfeuers zu verschiedenen anderen Feuern, die man entweder aufgeben oder pflegen sollte:
Brahmane, drei Feuer müssen aufgegeben und zurückgewiesen werden, nicht gepflegt. Welche drei? Das Feuer der Gier, des Hasses und der Täuschung.
Und welche Feuer sollen gepflegt werden?
Brahmane, um drei Feuer solltest du dich freudig kümmern, sie ehren, achten, würdigen und verehren. Welche drei? Das Feuer derer, die einer den Göttern gewidmeten Gabe würdig sind, das Feuer eines Hausbesitzers und das Feuer derer, die einer religiösen Gabe würdig sind.
Hier werden die Feuer zunächst in Begriffe gefasst, die der Begriffswelt der Brahmanen entstammen: Opfergaben, die bei bestimmten Gelegenheiten gespendet werden, sowie das „Feuer eines Hausbesitzers“, das vermutlich dasjenige ist, dem der Haushaltsvorstand täglich morgens und abends opfert. Aber dann werden diese Begriffe neu definiert:
Deine Mutter und dein Vater werden das Feuer derer genannt, die einer den Göttern gewidmeten Gabe würdig sind.
Deine Kinder, Frauen, abhängigen Diener, Angestellten und Arbeiter werden das Feuer eines Hausbesitzers genannt.
Diese Asketen und Brahmanen, die Rausch und Nachlässigkeit meiden, die in Geduld und Sanftmut verankert sind und sich selbst bändigen, beruhigen und zum Erlöschen bringen, diese nennt man das Feuer derer, die einer religiösen Gabe würdig sind.
Und das Opferfeuer?
Das Holzfeuer jedoch, Brahmane, sollte man von Zeit zu Zeit anfachen, von Zeit zu Zeit sollte man mit Gleichmut darüber wachen, von Zeit zu Zeit sollte man es löschen und von Zeit zu Zeit sollte man es beiseite tun.
Lesen Sie das gesamte Sutta AN 7.47.
Die vedischen Völker, die von Norden nach Indien eingewandert sind und von denen sich die indische Brahmanenkaste ableitet, haben kaum archäologische Zeugnisse hinterlassen, dafür aber ein umso umfangreicheres Schrifttum. Ihre Lehren und Mythen sind äußerst komplex und vielschichtig und enthalten zahlreiche Widersprüche. Sie sind aus diesem Grund für heutige Leser nicht leicht zugänglich und auch wissenschaftlich noch nicht umfangreich bearbeitet. Die in ihnen enthaltenen Vorstellungen durchdringen aber die frühen buddhistischen Texte in einem nicht unerheblichen Ausmaß, dem bisher noch kaum Rechnung getragen wurde. Dieser Newsletter will darauf ein wenig das Augenmerk lenken, kann aber natürlich nicht den Anspruch einer umfassenden Darstellung erheben.
Wer sich mit dem Thema ein wenig mehr vertraut machen möchte, dem sei Roberto Calassos Buch zur vedischen Mythologie und Ritualwelt empfohlen, das unter dem Titel „Die Glut“ in deutscher Übersetzung erschienen ist.
Neu auf Dhammaregen
Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Suttas hinzugefügt:
DN 1-5
Thag 1.1-20
Übersicht über alle Übersetzungen
Sutta-Erkundungen
Die Sutta-Erkundungen sind ein monatliches Online-Format zum Studium der Suttas in einer Gruppe, das sich an die lectio divina aus der alten christlichen Klostertradition anlehnt. Das ermöglicht ein eher meditatives Herangehen an die Suttas. Die Sutta-Erkundungen finden jeden ersten Freitag im Monat statt.
Nächste Termine: 2. Juni, 7. Juli und 4. August 2023, jeweils 18:30 – 20:00 h MEZ.
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