Dhammaregen-Newsletter Oktober 2023
Neues rund um Dhammaregen und frühe buddhistische Texte
Der heutige Newsletter begegnet dem Ehrwürdigen Girimānanda, schaut sich unter den erwachten Mönchen im Theragāthā um und wirft auch einen Blick in Bhikkhu Sujatos „Checkliste“ über die Unterschiede zwischen der Theravada-Tradition und den frühen Texten.
Girimānanda
Der Mönch Girimānanda begegnet uns an zwei Stellen im Kanon: in AN 10.60, wo er krank ist und der Ehrwürdige Ānanda ihm im Auftrag des Buddha zehn Betrachtungen vorträgt, und in seinem eigenen Gedicht in Thag 5.3.
Ānanda berichtet dem Buddha über Girimānandas Erkrankung, woraufhin dieser den folgenden Vorschlag macht:
„Ānanda, wenn du dem Mönch Girimānanda diese zehn Wahrnehmungen aufsagen würdest, wäre es möglich, dass seine Krankheit auf der Stelle abklingt, wenn er sie hört. Welche zehn? Die Wahrnehmung der Unbeständigkeit, die Wahrnehmung des Fehlens eines Selbst, die Wahrnehmung der unattraktiven Natur, die Wahrnehmung der nachteiligen Folgen, die Wahrnehmung des Aufgebens, die Wahrnehmung des Schwindens, die Wahrnehmung des Aufhörens, die Wahrnehmung der Entfremdung von der ganzen Welt, die Wahrnehmung der Unbeständigkeit aller Bedingungen und die Achtsamkeit auf den Atem.“
Diese Aufzählung, die sich auf den ersten Blick sehr negativ liest, macht deutlich, wie umfassend das Loslassen ist, das nötig ist, um schließlich das Erwachen zu verwirklichen. Beim Ehrwürdigen Girimānanda trugen diese Übungen, die im Rest des Sutta noch näher erläutert werden, jedenfalls Frucht, denn nicht nur wurde er tatsächlich beim Hören von Ānandas Vortrag gesund, sondern es gelang ihm auch, das Ziel des Pfades zu erreichen, wie er in seinem Theragātā-Gedicht erklärt:
Der Himmelsgott regnet, wie ein süßes Lied, meine kleine Hütte ist überdacht, angenehm und windgeschützt, da meditiere ich, mein Geist im Frieden: Drum regne, Himmelsgott, wenn du willst.
Lesen und hören Sie AN 10.60 und Thag 5.3.
Auf wie viele Arten kann man sein Erwachen in Worte fassen?
Im Theragāthā sind die Gedichte zahlreicher erwachter Mönche aus der Zeit des Buddha gesammelt, die über ihr Leben allein in der Natur, über ihre Kämpfe und Schwierigkeiten und über ihre innere Befreiung sprechen. Viele der Gedichte haben bewegende Naturbeschreibungen, wie auch das des Ehrwürdigen Girimānanda, auf das oben hingewiesen wurde.
Hier möchte ich einmal das Augenmerk darauf richten, wie die einzelnen Mönche ihr Erwachen beschreiben. Es scheint unendlich viele Varianten zu geben, wie man das ausdrücken kann. Ein paar Beispiele:
Thag 1.120 Die fünf Aggregate sind vollständig verstanden; sie bestehen noch, doch ihre Wurzel ist abgeschnitten. Ich bin am Ende des Leidens angekommen und habe die Auflösung der Befleckungen erreicht.
Thag 1.56 „Wer ist in dieser kleinen Hütte?“ – „Ein Mönch ist in dieser kleinen Hütte, frei von Begehren, sein Geist gesammelt. Mein Freund, das sollst du wissen: Deine kleine Hütte wurde nicht umsonst gebaut!“
Thag 1.6 Der Mönch, der zum Kühlen Wäldchen ging, ist einsam, zufrieden und gesammelt, siegreich, seine Haare sträuben sich nicht mehr, er bewacht die Achtsamkeit auf den Körper, standhaft.
Thag 1.89 Ich habe die Sümpfe durchquert, ich habe die Abgründe vermieden, ich bin von den Fluten und den Knoten frei, ich habe jegliche Einbildung ausgelöscht.
Thag 2.32 Häuser sind unbeständig – wieder und wieder, Leben um Leben. Ich habe nach dem Hausbauer gesucht – schmerzhaft ist Geburt, wieder und wieder. Ich habe dich gesehen, Hausbauer! Du wirst kein weiteres Haus mehr bauen. Deine Dachsparren sind alle zerbrochen, dein Firstbalken ist zerschmettert. Mein Geist ist von Grenzen befreit: In diesem Leben wird er sich auflösen.
Thag 2.4 Meine Hütte am Ufer des Ganges ist aus drei Palmblättern gemacht. Meine Almosenschale ist von einer Leiche genommen, meine Robe besteht aus weggeworfenen Fetzen. In meinen ersten beiden Regenzeiten sprach ich nur ein Wort. In meiner dritten Regenzeit war die Masse der Dunkelheit zerschmettert.
Thag 2.43 Wessen Sinne haben sich gesammelt wie Pferde, vom Wagenlenker gezähmt? Einbildung und Befleckungen aufgegeben – wer ist so, dass ihn selbst die Götter beneiden? Meine Sinne haben sich gesammelt wie Pferde, vom Wagenlenker gezähmt. Einbildung und Befleckungen aufgegeben – ich bin so, dass mich selbst die Götter beneiden.
Und es gibt noch viele weitere … Gehen Sie selbst auf Entdeckungsreise im Theragāthā!
Wie sich der frühe Buddhismus vom Theravada unterscheidet
In dieser „Checkliste“ trägt Bhikkhu Sujato etliche Punkte zusammen, in denen die Theravada-Tradition von den frühen Texten abweicht.
Es ist vielleicht nicht verwunderlich, dass sich in einer Tradition in ein paar Jahrtausenden neue Entwicklungen ergeben, in denen Vorstellungen, Gebräuche und Praktiken von der ursprünglichen Fassung abweichen. Dies betrifft nicht nur den Theravada, sondern alle buddhistischen Traditionen in unterschiedlicher (häufig schulenspezifischer) Weise. Mit dem Essay soll auch nicht der Theravada noch irgendeine andere Tradition schlecht gemacht werden, sondern es sollen Abweichungen aufgezeigt werden, die vielen Menschen nicht bewusst sind, sodass sich jeder selbst ein Bild machen kann.
Aus dem Essay:
Wenn neue Umstände ein neues Lesen alter Texte erforderlich machen, können Abweichungen nicht ausbleiben. Die Weiterentwicklung von Ideen ist wesentlicher Bestandteil einer lebendigen Tradition, und wir führen heute die Praxis der Kommentare fort, sich eingehend mit den Bedeutungen zu befassen und neue Auslegungen von Schriften zu entdecken. Dennoch ist es wichtig, dass wir die Behauptungen der Kommentare kritisch prüfen, da diese für sich in Anspruch nehmen, die kanonischen Texte zu erläutern, und da ihre Lesarten den Glauben und die Übung vieler Menschen beeinflussen.
Und weiter:
Es sollte uns nicht überraschen, dass sich in den Traditionen Veränderungen angesammelt haben. Und wenn wir sie alle in einer langen Liste zusammentragen, sieht es sicherlich nach viel aus. Aber vergessen Sie nicht: Die Traditionen sind auch für den Erhalt des Dhamma verantwortlich, dafür, dass es uns möglich ist, zu üben. Und sie bewahren auch viele Aspekte des Dhamma, die sich nicht leicht auf einfache Doktrinen reduzieren lassen: eine Art, zu sein, oder Ethos, ein Gefühl für Tugend, eine Ehrfurcht vor dem Buddha und seinen Lehren.
Viele der hier zusammengestellten Themen werden in den buddhistischen Traditionen aktiv debattiert, und tatsächlich bin ich auf viele von ihnen durch traditionelle Gelehrte und Übende aufmerksam geworden. Wir kritisieren nur aus Liebe und Respekt, im Glauben, dass eine lebendige Tradition fähig ist, sich mit neuem Leben zu füllen.
Manche der genannten Punkte haben durchaus einen erheblichen Einfluss auf das Verständnis des Dhamma und das praktische Leben vieler Menschen, wie etwa die Frage, ob es ein Zeichen von schlechtem Kamma ist, als Frau wiedergeboren zu sein, oder wie man den Geist in der Meditation ausrichten soll.
Hier als Beispiel der Abschnitt über den „Segen“, den Mönche oder Nonnen erteilen, wenn ihnen eine Mahlzeit gespendet wird:
Ti statt tu
Eins der ersten Stückchen Pali, die Sie zu hören bekommen, ist der anumodanā-Chant („Segenschant“) der Mönche oder Nonnen bei der Essensspende. Heutzutage benutzen wir oft eine Pali-Wortform, die auf -tu endet. Das ist die Imperativform, die die Bedeutung hat „es soll sein“. Zum Beispiel bhavatu sabbamaṅgalaṁ, rakkhantu sabbadevatā, „Ihr sollt alles Glück haben, alle Götter sollen euch beschützen“. Das bedeutet, dass der Saṅgha, indem er das anumodanā gibt, der Laiengemeinschaft einen Segen erteilt.
Aber diese anumodanā-Verse sind spät. In den FBT gab der Buddha selbst das anumodanā, und in diesen frühen Formen finden wir nicht den Imperativ auf -tu, sondern den Indikativ auf -ti mit der Bedeutung „es ist“. Solche Strophen haben nicht das Anliegen, einen Segen zu erteilen, sondern sie wollen Ursache und Wirkung lehren. Wenn du diese gute Tat der Großzügigkeit tust, dann wird das Folgende geschehen. Nicht wegen des anumodanā, das vom Saṅgha gegeben wird, sondern durch die Macht deiner eigenen guten Taten.
Aggasmiṁ dānaṁ dadataṁ aggaṁ puññaṁ pavaḍḍhati Wer so den Besten Spenden gibt, dem erwächst das beste Verdienst.Die Bedeutung von anumodanā ist nicht „Segen“, sondern „sich freuen über“. Es fungiert als Erinnerung daran, dass man, wenn man etwas Gutes tut, über die eigenen guten Taten und die anderer glücklich sein soll.
Lesen Sie den ganzen Essay, wenn Sie etwas Zeit haben, oder lesen Sie ihn abschnittsweise in Etappen. Sie werden sicher Dinge entdecken, die Ihnen nicht so bewusst waren.
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Wie sich der frühe Buddhismus vom Theravada unterscheidet – eine Checkliste: zum Essay
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MN 28, MN 43, MN 62
Thag 2.1-16, 18.21, 23-31, 33-39, 41-49; Thag 3.1-16; Thag 4.1-9, 11-12; Thag 5.1-9, 11-12; Thag 6.1-6
Übersicht über alle Übersetzungen
Sutta-Erkundungen
Die Sutta-Erkundungen sind ein monatliches Online-Format zum Studium der Suttas in einer Gruppe, das sich an die lectio divina aus der alten christlichen Klostertradition anlehnt. Das ermöglicht ein eher meditatives Herangehen an die Suttas. Die Sutta-Erkundungen finden jeden ersten Freitag im Monat statt.
Nächste Termine: 6. Oktober, 3. November und 1. Dezember 2023, jeweils 18:30 – 20:00 h MEZ.
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