In Memoriam – Ehrwürdige Ayyā Mie Vimalā
Übersetzung einer Gedenkschrift von Bhikkhu Bodhi, 2023
Am 3. Januar erhielt ich eine Email von Ken und Visakha Kawasaki, einem amerikanischen Ehepaar, das in Kandy lebt. Sie informierten mich darüber, dass eine langjährige Freundin, die Ehrwürdige Ayyā Mie Vimalā, in einem Krankenhaus in Kandy gestorben war. Obwohl sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs litt, hatte sie ihr Ende nicht so rasch erwartet. Nur Tage vorher war sie in Kandy angekommen, um einen geeigneten Ort zum Leben und für ihre Dhamma-Aktivitäten zu suchen.
Ich hatte Ayyā Vimalā Jahre vor ihrer Ordination zur Dasa-Silmata, eine Zehn-Regel-Nonne, gekannt. Ich begegnete ihr zum ersten Mal in der Forest Hermitage in Kandy Ende 1985, als sie gekommen war, um den altehrwürdigen deutschen Mönch, den Ehrwürdigen Nyanaponika Mahathera (1901–94), zu besuchen, den sie als ihren Lehrer betrachtete. Vor ihrer Ordination kannte ich sie unter dem Namen Michiko Tokue; ihr Pass wies sie allerdings unter einem anderen Namen aus, Mie Margarete Kurbjeweit.
Ayyā Vimalā wurde in der Hafenstadt Königsberg an der Ostsee geboren. Damals lag die Stadt in Ostpreußen, einem Teil des Deutschen Reiches, aber heute ist sie eine russische Enklave mit Namen Kaliningrad. Die Stadt war die Heimat des großen Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts Immanuel Kant und ist daher wohlbekannt. Ayyā Vimalā wurde am 17. August 1943 geboren, zwei Jahre vor dem Ende des zweiten Weltkrieges. Ihr Vater war Japaner und ihre Mutter Deutsche. Sie sprach mit mir nie über ihren Vater, und ich denke, dass sich ihre Eltern wahrscheinlich kurz nach ihrer Geburt getrennt haben. Es scheint, als ob sie nur bei ihrer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen sei. Sie erwähnte nie Brüder oder Schwestern, daher nehme ich an, dass sie ein Einzelkind war.
Als sie im Nachkriegs-Deutschland aufwuchs, litt sie an Hunger und Armut, die vielen Deutschen zusetzten, bevor der Wiederaufbau die deutsche Wirtschaft wiederbelebte. Vor langer Zeit hatte sie mir erzählt, dass ihre Mutter während ihrer Kindheit an vielen Tagen nicht in der Lage war, ihr etwas zu essen zu geben. Jahre später, als junge Erwachsene, machte sie eine musikalische Ausbildung und hatte eine berufliche Karriere als Opernsängerin. Das machte sie sehr glücklich, aber doch nicht ganz zufrieden. Trotz ihres beruflichen Erfolgs hatte sie immer das Gefühl, dass in ihrem Leben etwas fehlte.
In ihren Dreißigern begann sie, sich für den Buddhismus zu interessieren, und sie ging diesem Interesse zunächst durch die Praxis der Zen-Meditation nach, vielleicht, weil das am ehesten ihrem japanischen Erbe entsprach. Sie unternahm mehrere Reisen nach Japan, und es ist möglich, dass ihr in einem Zen-Kloster ihr Dharma-Name „Mie“ gegeben wurde, den sie nach ihrer Theravada-Ordination als Teil ihres Ordensnamens beibehielt.
Kurz nach ihrem vierzigsten Geburtstag gab es in ihrem Leben eine dramatische Veränderung. Sie hatte in einer deutschen Kulturzeitschrift einen Artikel über Sri Lanka gelesen. In dem Artikel ging es um den Ehrwürdigen Nyanaponika, und es war ein Foto von ihm zu sehen, wie er an seinem Schreibtisch in der Forest Hermitage im Waldreservat Udawattakele nahe der Stadt Kandy saß. Der Artikel – und besonders das Foto des Mahathera – machte auf Ayyā Vimalā einen starken Eindruck, und sie war entschlossen, diesen Mönch aufzusuchen. Der Ehrwürdige Nyanaponika hatte seit 1936 in Sri Lanka gelebt und wurde weithin als eine der höchsten Autoritäten zum Theravada-Buddhismus weltweit angesehen. Da er aus ihrem Heimatland stammte und sogar in seiner Jugend in Königsberg gelebt hatte, fühlte sie eine besondere Affinität zu ihm.
Sie schloss sich einer Reisegruppe aus Deutschland an, die Sri Lanka in den Weihnachtsferien 1983 besuchte. Eines Tages fühlte sie bei einem Ausflug in den Südwesten von Sri Lanka einen unwiderstehlichen Drang, den deutschen Ehrwürdigen zu treffen, und so trennte sie sich von der Reisegruppe und machte sich auf den Weg nach Kandy. Als sie schließlich bei der Forest Hermitage ankam, hatte sie das Gefühl, endlich nach Hause zu kommen. Sie erkannte den Ehrwürdigen Nyanaponika sofort als ihren Lehrer an und bat ihn, sie als Schülerin anzunehmen. Über die nächsten Jahre kehrte sie wiederholt nach Sri Lanka zurück, um Zeit mit dem Ehrwürdigen Nyanaponika zu verbringen und sich tiefer in Sri Lankas altes buddhistisches Erbe zu versenken.
Bei jedem Besuch blieb sie mehrere Monate, mietete ein Zimmer in Kandy und besuchte häufig die Forest Hermitage. Während dieser Zeit entwickelte sich meine Freundschaft zu ihr. Bei einem dieser Besuche (höchstwahrscheinlich 1985, als ich ihr zum ersten Mal begegnete) erhielt sie vom Ehrwürdigen Nyanaponika die fünf Brahmacariya-Regeln. Diese sind die gleichen wie die fünf Standardregeln für Laienbuddhisten (pañcasīla), außer, dass die dritte Regel von „Vermeiden sexuellen Fehlverhaltens“ zu „Vermeiden jeglicher sexuellen Aktivität“ geändert ist. Der Ehrwürdige Nyanaponika gab ihr auch den Dhammanamen Vimalā.
Im Oktober 1991 kam sie wieder nach Sri Lanka. Diesmal trug sie weiße Roben und hatte ihr Haar kurzgeschoren. Sie hatte vor, sechs Monate zu bleiben. Gegen Ende ihres Aufenthalts fragte sie den Ehrwürdigen Nyanaponika, ob er sie zur Zehn-Regel-Nonne ordinieren würde, aber er zögerte und hatte Bedenken, dass sie Schwierigkeiten bekommen könnte, wenn sie die zehn Regeln einhalten und auf sich selbst gestellt im Westen leben würde. Aber sie war entschlossen, sich voll und ganz auf das hauslose Leben einzulassen, und so bat sie einen älteren Mönch des Malwatta-Mahavihara namens Piyadassi Thera, mit dem sie befreundet war, sie zur Zehn-Regel-Nonne zu ordinieren.
Nach ihrer Rückkehr nach Europa lebte Ayyā Vimalā als Nonne zeitweise in Deutschland, zeitweise auf der spanischen Insel Mallorca, und verbrachte auch Zeit in Kalifornien. Aber sie fühlte sich stark nach Hawaii hingezogen, das sie in ihrer Laienzeit im Urlaub besucht hatte. Sie beabsichtigte, dauerhaft auf Hawaii zu leben, und hoffte, in Honolulu einen Theravada-Vihara aufzubauen. Schließlich zog sie 1994 oder 1995 nach Hawaii, wo sie ein aktives und bedeutendes Mitglied der buddhistischen Gemeinschaft Honolulus wurde, und stand in freundschaftlicher Verbindung mit den Buddhisten aller Schulen in Honolulu. Sie gründete einen kleinen Theravada-Vihara in ihrer Wohnung und leitete auch Meditationskurse und hielt Dhammavorträge in Tempeln, die zu den vielfältigen ethnischen Gemeinschaften der Insel gehörten. Sie hatte besonders freundschaftliche Beziehungen zu den Mönchen eines Thai-Tempels in Honolulu, lebte zeitweise in einem chinesischen Nonnenkloster in der Stadt und schloss Freundschaft zu Anführern der Jodo-Shinshu-Gemeinschaft. Sie wurde lebenslanges Mitglied der Mahabodhi Society von Sri Lanka und hoffte, in Honolulu einen Zweig der Mahabodhi Society etablieren zu können.
Während sie nach außen ein aktives Leben führte, setzte Ayyā Vimalā auch ihr inneres Leben der Meditation fort, studierte fleißig den Dhamma und schrieb. Eines ihrer verborgenen Talente war die Lyrik, und sie gab privat einen kleinen Gedichtband heraus, zu dem ich das Vorwort schrieb. Darin schrieb ich: „Zu ihrer Aufgabe, lyrische Texte zu schreiben, bringt sie nicht nur ihr tiefes Engagement und ihren Einsatz für den Buddhismus mit, sondern auch einen feinfühligen Geist, der durch ihre Meditationspraxis geformt wurde, eine Liebe zur Natur, die ihr japanisches Erbe zum Ausdruck bringt, und ein empfindsames Gehör, das durch ihren beruflichen Hintergrund als Sängerin ausgebildet ist.“
Sie veröffentlichte auch zwei Bücher zur Todesbetrachtung, eines privat (Crossing the Realm of Death, 2008) und das andere über Vijita Yapa, einen sri-lankischen Verlag (Maraṇānussati, 2018). Während sie in Hawaii lebte, wurde sie von der Geschichte der Mary Foster fasziniert, einer hawaiischen Buddhistin, die die Arbeit des sri-lankischen buddhistischen Erneuerers Anagarika Dharmapala unterstützte. Ayyā Vimalās Recherchen über Mary Fosters Leben und Arbeit mündeten in ein Buch, das von Vijita Yapa in Sri Lanka herausgegeben wurde, Mary Mikahala Foster, The Noble Hawaiian Lady. In Zusammenarbeit mit der Honpa Hongwanji Mission von Hawaii organisierte Ayyā Vimalā auch eine Gedenkfeier für Mary Foster.
In jüngerer Zeit bereitete sie ein Buch vor über deutsche Wissenschaftler im Bereich des Pali-Buddhismus und der Sanskrit-Indologie. Dafür hatte sie Hilfe von Ken und Visakha Kawasaki erhalten, die ihrem Englisch den letzten Schliff verliehen. Gemeinsam hatten sie die Formatierung des Buches abgeschlossen, doch das abschließende Lektorat stand noch aus. Das plante Ayyā Vimalā, bei ihrer Rückkehr nach Kandy zu tun. Sie hatte vor, das Buch dem Andenken Nyanaponika Mahatheras und seines Lehrers, des wegbereitenden deutschen Mönchs Nyanatiloka Mahathera (1878–1957), zu widmen.
Mitte 2021 kehrte sie nach Sri Lanka zurück mit dem Entschluss, hier ihre letzten Jahre zu verbringen. Jedes Jahr tauschten Ayyā Vimalā und ich zu unseren Geburtstagen Postkarten oder Email-Nachrichten aus. In diesem letzten Jahr schickte sie mir wie üblich einen Geburtstagsgruß per Email, in dem sie mir Gesundheit und ein langes Leben wünschte. Am Ende sagte sie, sie würde mir in zwei Tagen eine weitere Email schicken.
Die Email kam dann vier Tage später, am 14. Dezember. In einer früheren Email hatte sie mir gesagt, dass sie starke Bauchschmerzen gehabt habe, aber in dieser Nachricht sagte sie, bei ihr sei Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden. An vielen Tagen, so schrieb sie, konnte sie nichts essen und hatte zehn Kilo abgenommen: „Ich bin nur noch Haut und Knochen, äußerst schwach, und ich benötige eine lange Zeit, um vom Stuhl aufzustehen.“ Ihre Haut war gelb geworden und ihr Arzt hatte ein neues, sehr teures Medikament verschrieben, das ihrem Körper helfen sollte, die Nährstoffe aus ihrem Essen besser aufzunehmen.
Über ihre Zukunft war sie nicht ganz pessimistisch, denn sie schrieb: „Wir wollen sehen, wie es in einem Monat aussieht.“ Und sie sagte, dass sie gegen Ende Dezember nach Kandy zurückkehren werde. Ich hatte ihr vorgeschlagen, die Idee, nach Kandy zu gehen, aufzugeben. Stattdessen schlug ich vor, dass sie in ein Altersheim gehen solle, das unser gemeinsamer Freund Raimund Beyerlein gegründet hatte; oder dass sie Herrn Beyerleins Angebot annehmen solle, ihr einen Flug zurück nach Deutschland zu besorgen und sich um ihre medizinische Betreuung zu kümmern. Aber sie war entschlossen, in Sri Lanka zu bleiben, und ging wie geplant nach Kandy.
Sie schrieb mir wieder am 30. Dezember 2022 und sagte mir, sie sei in Kandy angekommen und sei im Queen's Hotel. In meiner früheren Email hatte ich den Rat des Buddha an Nakulapita zitiert: „Obwohl mein Körper krank ist, soll mein Geist nicht krank sein.“ In ihrer Antwort sagte sie: „Sehr lange schon habe ich die Erkenntnis: ‚Dieser Körper ist nicht mein.‘“ Sie fuhr fort: „Ich muss mit der Situation fertig werden, im Moment nicht gut. Alles ist extrem anstrengend. Ich zittere, wenn ich nur diese Email schreibe.“ Sie beschloss diese Nachricht, indem sie mir ein frohes neues Jahr wünschte.
Ich schrieb am selben Tag zurück und erinnerte sie an Herrn Beyerleins Vorschlag, dass sie in dem Pflegezentrum bei Aluthgama bleiben oder sein Angebot annehmen könne, sie nach Deutschland zurückfliegen zu lassen, wo er alles für ihre medizinische Versorgung arrangiert hätte. Ich habe auf diesen Vorschlag keine Antwort mehr von ihr bekommen. Stattdessen erhielt ich am 3. Januar 2023 eine Nachricht von den Kawasakis mit der traurigen Neuigkeit: „Mit tiefem Bedauern teilen wir Ihnen mit, dass wir heute Morgen einen Anruf vom Queen's Hotel erhalten haben, dass Ayyā Vimalā in einem Krankenhaus in Kandy verstorben ist.“
Damit ging das Leben einer mutigen Frau zu Ende, die ihr Leben ganz den Lehren des Buddha gewidmet hatte. Sie hatte das schwere Schicksal einer Kindheit im Nachkriegs-Deutschland durchlebt, wo sie Armut und Hunger erfahren hatte. Als junge Erwachsene genoss sie beruflichen Erfolg als Opernsängerin, aber fühlte auch eine zugrunde liegende Unzufriedenheit, die sie mit weltlichen Errungenschaften nicht stillen konnte. Und dann hatte sie, fast durch Zufall, eine tiefe innere spirituelle Verbundenheit mit dem sri-lankischen Erbe des Theravada-Buddhismus entdeckt, besonders wie es von der Person des deutschen Mönchs Nyanaponika Mahathera verkörpert wurde, den sie als Lehrer und Führer annahm.
Trotz aller Herausforderungen, die sie zu erwarten hatte, führten ihr starkes Vertrauen zum Dhamma und ihre Hingabe an das monastische Ideal sie dazu, das Laienleben aufzugeben und die Disziplin einer Zehn-Regel-Nonne anzunehmen. In ihren Bemühungen wurde sie von der „guten Freundschaft“ (kalyāṇamittatā) unterstützt, die sie mit anderen Mönchen und Nonnen schloss, denen sie im Verlauf ihrer Reise begegnete, besonders mit sri-lankischen Mönchen überall auf der Welt. Nachdem sie die ockerfarbene Robe angelegt hatte, führte sie ihr monastisches Leben durch Studium, Schreiben, Meditation und die Anstrengungen, die sie unternahm, um anderen den Dhamma bekannt zu machen. Und wie bei uns allen, so erlag schließlich ihr Körper (aber nicht ihr Geist) dem unaufhaltsamen Gesetz der Unbeständigkeit.
Möge Ayyā Mie Vimalā das höchste Ziel, Nibbāna, erreichen!
Das ist das Foto, das Ayyā Vimalā zu ihrer ersten Reise nach Sri Lanka bewog, um dort den Ehrwürdigen Nyanaponika zu treffen.
Ayya Mie Vimalas Bücher (alle auf Englisch) können hier heruntergeladen werden.



