Menstruation und Fruchtbarkeit in den Palitexten
Übersetzung von „Menstruation and fertility in the Pali texts“ von Bhikkhu Sujato, 2016
Ich war mir nie ganz sicher, was das Wort utuni bedeutet. Üblicherweise wird es als eine Frau übersetzt, die „in ihrer Zeit“ ist oder „ihre Zeit hat“. Das ist eine wörtliche Übersetzung, denn utuni heißt „Zeit, Jahreszeit“. Aber welche Zeit ist es genau?
Hier sind ein paar der maßgeblichen Stellen:
An der berühmten Stelle in MN 38 heißt es, die Empfängnis hänge davon ab, dass die Mutter utuni sei. Beachte, dass das eine spezifisch brahmanische Vorstellung ist, was aus MN 93 klar wird. Dass es sich hier um einen brahmanischen Brauch handelt, wird auch in AN 5.191 bestätigt, wo es heißt, dass die Brahmanen traditionell nur während dieser Zeit Geschlechtsverkehr hatten. Hier ist klar, dass utuni bedeutet „während des fruchtbaren Fensters des Menstruationszyklus“. Das besagt, dass die Brahmanen, oder zumindest manche, es als tugendhaft betrachteten, nur zum Zweck der Fortpflanzung Geschlechtsverkehr zu haben.
An anderen Stellen bedeutet utuni „die Periode haben“. Das geht aus dem Bhikkhuni-Khandhaka hervor [relevante Stelle liegt nicht in deutscher Übersetzung vor; A.d.Ü.], wo Hygienemaßnahmen besprochen werden.
Nun ist es offensichtlich, oder zumindest offensichtlich für uns, dass eine Frau nicht unbedingt während der Periode fruchtbar ist. Es gibt aber eine Anzahl von Stellen im Palikanon, die zeigen, dass man glaubte, Menstruation und Fruchtbarkeit träten zur gleichen Zeit auf.
In der Einführung zu Pārājika 1 [liegt nicht in deutscher Übersetzung vor; A.d.Ü.] will Sudinnas Mutter erreichen, dass ihr Sohn die Robe ablegt. Sie sagt zu seiner früheren Frau, sie solle warten, bis sie utuni sei. Falls es Zweifel gibt, was das bedeutet, sagt der Text auch pupphaṃ te uppannaṃ, „wenn deine Blumen erschienen sind“. Als sie bereit ist, gehen sie zu Sudinna und überreden ihn, dass er Geschlechtsverkehr hat, um der Familie einen Erben zu hinterlassen, und sie wird schwanger.
In einer anderen Passage hat der König Bimbisāra ein Leiden, durch das seine Roben mit Blut befleckt werden. Die Königinnen machen sich über ihn lustig mit den Worten:
„Jetzt hat Eure Hoheit seine Periode und Eure Blumen sind erschienen; Eure Hoheit wird bald gebären!“
Autsch! Bissige Bemerkungen wurden offensichtlich nicht erst in der Neuzeit erfunden. Es ist interessant, dass man einen König so verspotten kann, ohne Strafe zu fürchten. Aber um zur Sache zu kommen: Dies macht klar, dass utuni mit Menstruation gleichgesetzt ist und diese mit Fruchtbarkeit.
Hier scheint nicht nur ein falsches Verständnis des Menstruationszyklus vorzuliegen, es widerspricht auch der normalen Annahme, dass für die Brahmanen eine Frau während der Menstruation tabu ist und gar nicht angefasst werden darf. Ich vermute, was wir hier vor uns haben, ist ein völlig anderes Verständnis von Fruchtbarkeit, eines, das durch moderne Augen nicht unmittelbar zu erkennen ist.
Vielleicht müssen wir die Bedeutung von utuni in der Grundbedeutung von utu und dem Erleben der Jahreszeiten und dem Wachstum der Feldfrüchte verankern. Der Boden ist trocken und ausgedörrt und nichts wächst. Dann kommt der Regen. Aber man stürzt nicht hinaus, um die Saat zu pflanzen, wenn es regnet und alles überschwemmt ist. Man wartet, bis die Wasser sich beruhigen und die Erde durchtränkt und durchfeuchtet haben. Mit anderen Worten: Die Regenzeit ist nicht nur, wenn es regnet.
Ich denke, so wurde der Menstruationszyklus verstanden. Wir müssen uns klarmachen, dass es keine Kenntnis von Spermien und Eizellen gab. Vielmehr glaubte man, dass die Empfängnis durch die Vermischung des Samens mit dem Menstruationsblut zustande kam. Das Menstruationsblut befeuchtete die Gebärmutter und machte sie fruchtbar, wie der Regen, aber man konnte während dieser Zeit nicht „die Saat pflanzen“, da sie weggeschwemmt werden würde. Aber wenn die Blutung aufhörte, gab es eine Zeitspanne, in der die Gebärmutter fruchtbar und aufnahmefähig war. Diese ganze Periode war die utu, nicht nur, wenn das Blut floss.
Natürlich ereignet sich der Eisprung erst nach etwa einer Woche, aber das wussten sie nicht. Wenn daher dieses Verständnis auch nur im Entferntesten erfolgreich sein sollte, müssen sie geglaubt haben, dass die fruchtbare Periode sich bis zum Ende der Eisprungzeit erstreckte.
Das heißt, die utu ist der Zeitraum von zwei Wochen oder so vom Beginn der Periode bis zum Ende der Eisprungzeit. Die Brahmanen hatten zwar während der Menstruation an sich keinen Geschlechtsverkehr, bis die Frau sich gebadet und gereinigt hatte, aber für die folgenden zwei Wochen oder so war er angesagt. Das macht es auch plausibler, dass die Brahmanen nur während der utu Verkehr hatten. Geschlechtsverkehr während der Hälfte des Monats ist realistischer als nur für ein paar Tage.
Dieses Verständnis wird von ayurvedischen Vorstellungen über den Fruchtbarkeitszyklus gestützt. Die meisten der Originaltexte scheinen nicht online vorzuliegen, aber ich habe diese Studie gefunden (SJAMS-22D876-881.pdf, 169 KB).
Sie bemerkt, dass verschiedene Quellen sagen, die ritukāla dauere zwölf oder sechzehn Tage, und sagt:
… wenn die Dauer der ritukāla sechzehn Tage ist, dann beginnt die Zählung der ritukāla am Tag des Einsetzens der Menstruation; und wenn die Dauer der ritukāla zwölf Tage ist, dann beginnt die Zählung der ritukāla am vierten Tag ab Einsetzen der Menstruation.
(Sanskrit ṛtu oder ritu = Pali utu, somit ritukāla = „die Zeit der utu“.)
Im letzteren Fall wird die Zeit der Menstruation als solcher rajakāla genannt. Da dieser Begriff im Palikanon nicht zu finden ist, scheint es, die Palitexte gehen von der sechzehntägigen ritukāla aus. In jedem Fall stimmt meine Ableitung für die Länge der utu mit der ayurvedischen Interpretation überein.
Angesichts der Tatsache, dass unser moderner Blickwinkel bei diesem Thema leicht zu Missverständnissen führt, denke ich, es ist am besten, vage Übersetzungen wie „Zeit“ oder „Saison“ zu vermeiden. Um utu in diesem Zusammenhang richtig zu übersetzen, müssten wir etwas sagen wie: „die fruchtbaren zwei Wochen, die mit der Menstruation beginnen“.


