Nun, das war unerwartet: Knochenwaschrituale bei den Kastenlosen in Südindien
Bhikkhu Sujato, 2023

Im Abschnitt über Ethik in DN 1 gibt es eine seltsame Gruppe von Ausdrücken, die zu den Vorführungen gehören, die ein Mönch oder eine Nonne nicht besuchen sollte:
caṇḍālaṁ vaṁsaṁ dhovanaṁ
Leichenarbeiter, Bambus, Waschen
Es ist völlig unklar, inwiefern das Vorführungen sein sollen.
Alle Ausgaben wie auch der Kommentar behandeln diese als getrennte Gegenstände. Sie kommen jedoch, wie T.W. Rhys Davids bemerkt hat, gemeinsam im Kommentar zu Ja 498 vor, wo sie als ein zusammengesetztes Wort erscheinen. Dort beschließen zwei junge candālas (Leichenarbeiter) aus Ujjeni (in Avanti, das aus der Perspektive der frühen Texte als der Süden gilt), von ihrem „Handwerk“ (sippa) genannt caṇḍālavaṁsadhovana Gebrauch zu machen, und sie tun es am östlichen und am nördlichen Stadttor. Zwei Frauen, die in den Vorzeichen bewandert sind, sehen sie und sind bei dem Anblick so entsetzt, dass sie sich die Augen mit parfümiertem Wasser auswaschen; was für den bloßen Anblick von candālas etwas übertrieben erscheint.
Nun, nach dieser Stelle sieht es so aus, als sollten wir die drei Begriffe als ein zusammengesetztes Wort behandeln und eine Verfälschung des DN-Textes annehmen. Vielleicht erklärte ursprünglich der Kommentar die Wörter getrennt, und der Text wurde dem angepasst.
Die Jātakageschichte sagt uns nicht, welcher Natur die Vorführung war, aber es war offenbar etwas, das zur Unterhaltung gedacht war und das als Überlieferung unter den candālas weitergegeben wurde.
Die DN-Passage wurde von Rhys Davids mit „akrobatisches Kunststück von candālas“ übersetzt. Bodhi hat „akrobatische Vorführungen“, Walshe (gefolgt von Thanissaro) hat „Akrobatik- und Zaubertricks“. Sie alle sind sehr lose vom Kommentar inspiriert, der sagt:
Candāla bedeutet ein Spiel mit einer Eisenkugel, oder es heißt, es sei das Hanfwasch-Spiel der Leichenarbeiter. Vaṁsa bedeutet, dass sie eine Bambusstange aufstellen und spielen.
Nun, was vaṁsa betrifft, so kann das mehrere Bedeutungen haben, aber hier bezieht es sich auf SN 47.19, wo wir einem „Bambusakrobaten von den Leichenarbeitern“ (caṇḍālavaṁsika) begegnen. Das bespreche ich in einem anderen Artikel.
Was uns hier interessiert, ist die Erklärung von dhovana (waschen):
Dhovana heißt „Knochenwaschen“. Es scheint, wenn in gewissen Ländern ein Angehöriger stirbt, verbrennen sie ihn nicht, sondern begraben ihn. Wenn sie dann wissen, dass der Körper verwest ist, graben sie die Knochen aus. Sie legen sie an einen bestimmten Platz mit Alkohol usw., und während sie weinen und klagen, trinken sie den Alkohol. Denn es heißt (in AN 10.107): „Mönche und Nonnen, in den südlichen Ländern gibt es eine Zeremonie, die ‚[Knochen]waschen‘ heißt. Dort haben sie Essen, Trinken, Imbisse, Mahlzeiten, Erfrischungen und Getränke und auch Tanz, Gesang und Musik. Es gibt ein solches Waschen, das streite ich nicht ab.“ Aber manche sagen, das Waschen sei Knochenwaschen mit Indras Netz.
Beachte, dass das Wort „Knochen“ in „Knochenwaschen“ nur in dem Lehrredenzitat des Kommentars zu finden ist, nicht in den Manuskripten. Nichtsdestotrotz ist es ein frühes Zeugnis. Die Meinung „Mancher“ über Indras Netz – vom Subkommentar als Zaubertrick erläutert – ist interessant, aber ich denke, diesen Punkt können wir für unsere Zwecke vernachlässigen.
Der Ehrwürdige Bodhi scheint die Sache missverstanden zu haben (und ich bin ihm gefolgt) und dachte, „Waschen“ sei der Name eines Landes. Es ist vielmehr der Name dieser Praxis in manchen südlichen Ländern. Beachte, dass AN 10.107 die „südlichen Länder“ genau benennt, unterstützt von Ja 498, das in Ujjeni spielt; der Kommentar zu DN 1 sagt nur „gewisse Länder“.
Das ist sicherlich eine interessante Praxis, und es scheint sich um eine genuine Erinnerung an ein altes, vor-vedisches Totenritual zu handeln. Es wird unter den candālas praktiziert, die vor den „zivilisierten“ Ariern die Ureinwohner Indiens waren, und es ist im weniger arisierten Süden angesiedelt.
Wie sich herausstellt, kommen ähnliche Rituale recht häufig vor. Wir finden sie bei den Maya:
https://www.buzzfeednews.com/article/kennethbachor/mexico-bone-cleaning-ritual
https://www.huffpost.com/entry/bone-washing-a-day-of-the_b_8403284
In gewissen Gegenden von Okinawa und Sulawesi:
Und vielleicht sogar bereits während der Jungsteinzeit in Italien:
Und wie es scheint, auch beim Volk der Toda in Südindien (es gibt allerdings wenig Einzelheiten über ihre „zweite Bestattung“):
Das ist nur das Ergebnis einer raschen Suche, ich bin sicher, es wird noch viel mehr geben.
Sicherlich kamen ähnliche Vorstellungen über einen langen Zeitraum im Geist weit auseinander lebender Völker auf. Es scheint, das „Knochenwasch“-Ritual dient als Mahnung und Bestätigung, dass eine Person tatsächlich tot ist, vollständig verwest, und jede persönliche Identifikationsmöglichkeit ist verschwunden. Die Gemeinschaft kommt zusammen, um sich gegenseitig zu erinnern, ein letztes Mal zu trauern und dann die Vorfahren mit schönen Blumen und Düften zu feiern und zu ehren. Wir können vielleicht in der modernen Praxis der Grabpflege und des Ausbringens von Blumenschmuck ein Überbleibsel solcher Rituale sehen.
Bei aller textlichen Verwirrung und den unterschiedlichen Kontexten scheint es doch, als sprächen unsere drei Paliquellen alle von derselben Sache. Sowohl das Jātaka als auch DN 1 präsentieren es als eine Art öffentlicher Vorführung. Der Kommentar setzt DN 1 und AN 10.107 gleich. Und wenn es tatsächlich ein Totenritual einer Stammesgesellschaft mit Darbietung von Knochen wäre, würde das auch erklären, weshalb es als so Unglück verheißend galt, dass es das rituelle Auswaschen der Augen erforderlich machte.
Doch ein Problem gibt es noch: Wie kommen wir vom Totenritual einer Stammesgesellschaft zu einer öffentlichen Vorführung?
In dem Jātaka sind unsere candāla-Helden so enttäuscht über die Zurückweisung ihrer Vorführung, dass sie beschließen, nach Taxila in den Norden zu reisen und eine brahmanische Ausbildung zu erhalten. Das setzt die Geschichte ausdrücklich in die zunehmende Brahmanisierung ihrer Gegend. Ihre alten Gepflogenheiten werden verachtet und auf ihre Kultur wird herabgeblickt. Heute sehen wir eine ähnliche Entwicklung, wobei alte Stammesbräuche mit tiefgründiger Bedeutung zu Vorführungen im öffentlichen Raum werden.
Vor Kurzem ging ich den Circular Quay entlang, und ich sah einige Indigene, die eine Vorführung veranstalteten. Ich blieb stehen, um ihren Ältesten, Mike, zu begrüßen. Seine Söhne und Enkel und Freunde aus Queensland und von anderen Orten machten sich mit traditionellem Make-up und traditioneller Kleidung zurecht, spielten das Didgeridoo und tanzten das Kängurulied und andere Geschichten ihrer Vorfahren. Ich hatte bei all dem gemischte Gefühle. Auf der einen Seite halten sie die Gebräuche lebendig und geben sie an die Kinder weiter. Auf der anderen Seite ist alles so verwässert und ohne Bedeutung, Kontext und Ort. Und wir können sicher sein, dass sie, wie unsere candālas, neben dem Lernen der alten Gepflogenheiten eine „moderne“ Erziehung erhalten werden.
Das ist es also, was ich denke, was caṇḍālavaṁsadhovana bedeutet: das Knochenwaschritual einer Stammesgesellschaft, das als Vorführung für das „zivilisierte“ Volk veranstaltet wird.

