Über sakkāya, Identität und substanzielle Wirklichkeit
Übersetzung von „On sakkāya, identity, and substantial reality“ von Bhikkhu Sujato, 2023
Wer den Buddhismus studiert, ist mit dem Begriff sakkāya vertraut, und die entsprechende Ansicht zu haben, ist eine der Fesseln, die uns an das Leiden bindet. Ich habe das Wort früher mit „Identität“ (identity) übersetzt, aber in seinem jüngsten Werk, der Übersetzung des Suttanipāta, sagt der Ehrwürdige Bodhi:
Sakkāya: der Verbund der fünf mit Anklammern verbundenen Aggregate. Eine Übersetzung des Wortes ist beinahe unmöglich. Meine früheren Versuche als „Persönlichkeit“ (personality) und „Identität“ (identity) werden dem Wort nicht gerecht. Sakkāya ist ein zusammengesetztes Wort aus sat = „existierend“ (existent) und kāya = „Körper“ (body), aber was gemeint ist, ist nicht nur der physische Körper, sondern die gesamte Anhäufung materieller und geistiger Faktoren, die die empirische Person ausmachen.
Jetzt gibt er es mit „persönliche Entität“ (personal entity) wieder.
Lassen Sie uns schauen, warum es so schwer zu übersetzen ist, und sehen, ob wir einen Kontext freilegen können, der uns hilft, es aufzuklären.
Ein Grund für die Schwierigkeit ist, dass die Wurzeln des Wortes sehr allgemein sind, es aber in einer sehr spezifischen doktrinalen Bedeutung gebraucht wird.
sat = „existierend“, auch „wirklich“, „wahr“, „gut“.
kāya = „Körper“, auch „Kategorie“, „Masse“, „Substanz“.
Das erste Element ist zweifellos sat, obwohl die Pali-Vorsilbe sa- von Sanskrit sat oder sva („eigen“, „selbst“) stammen kann. Wir wissen, dass Letzteres hier nicht zutrifft, weil die Dopplung kk in sakkāya durch die Assimilation des t in sat zustande kommt. Dennoch fassen einige Quellen in Sanskrit und Chinesisch das Wort im Sinn von sva- auf.
Das ist verständlich, da es im Kontext der fünf Aggregate gebraucht wird und als eine Identifikation des Selbst mit den fünf Aggregaten oder einem von ihnen erklärt wird. Weil es im Zusammenhang mit „Selbst“-Theorien steht, neigen Übersetzer oft zur „Selbst“-Seite hinüber mit „Persönlichkeit“, „Identität“, „eigener Körper“ (Horner), „Selbstidentität“ (Suddāso) und so weiter. Aber das scheint ein Fall zu sein, in dem das Wort rein aus dem Zusammenhang abgeleitet ist, ohne zu berücksichtigen, was es selbst in den Zusammenhang mitbringt.
Andere Übersetzer neigen zur Seite von „existierend“ und geben es als „Verdinglichung“ (Wayman) oder „Verkörperung“ (Ñāṇamoli, Anandajoti) wieder. Die „persönliche Entität“ des Ehrwürdigen Bodhi hat etwas von beidem.
Die doktrinale Erklärung von sakkāya als die fünf Aggregate ist zwar gut verstanden, aber es scheint wenig Interesse an der Frage zu geben, warum der Buddha einen solchen Ausdruck gebrauchte. Wenn es lediglich bedeutet, dass man an den Aggregaten hängt, warum sagt er es dann nicht so? Warum wird ein obskurer technischer Begriff eingeführt, um ein einfaches Konzept zu erklären?
Angesichts der Tatsache, dass sakkāya speziell dafür gebraucht wird, falsche Ansichten und Missverständnisse von Nicht-Buddhisten zu bezeichnen, scheint es naheliegend, in nicht-buddhistischen Texten zu suchen.
Eine Suche durch die vorbuddhistische brahmanische Literatur verläuft ergebnislos. Nicht nur ist sakkāya nicht zu finden, sondern, noch interessanter, auch kāya selbst ist nicht zu finden. Oder zumindest konnte ich es nicht ausfindig machen. Wenn es da ist, dann sicherlich nicht in irgendeinem doktrinal bedeutsamen Zusammenhang.
Doch dann fiel mir ein, dass kāya tatsächlich an doktrinal zentraler Stelle in DN 2 vorkommt, wenn gewisse Ansichten nicht-brahmanischer Asketen beschrieben werden.
Die Ansicht Ajitas mit der Haardecke:
Dieser Mensch besteht aus den vier Grundelementen. Wenn er stirbt, mischt und verbindet sich die Erde in seinem Körper mit dem kāya der Erde, das Wasser in seinem Körper mischt und verbindet sich mit dem kāya des Wassers, das Feuer in seinem Körper mischt und verbindet sich mit dem kāya des Feuers und die Luft in seinem Körper mischt und verbindet sich mit dem kāya der Luft. Die Sinne gehen in den Raum über.
Die Ansicht Pakudha Kaccāyanas:
Großer König, es gibt sieben kāyas, die nicht gemacht sind, nicht abgeleitet, nicht geschaffen, ohne Schöpfer, unfruchtbar, beständig wie ein Berggipfel, feststehend wie eine Säule. Sie bewegen sich nicht, verfallen nicht und behindern einander nicht. Sie sind unfähig, einander Glück, Schmerz oder sowohl Glück als auch Schmerz zuzufügen. Welche sieben? Die kāyas Erde, Wasser, Feuer und Luft; Schmerz, Glück und die Seele als siebter. Diese sieben kāyas sind nicht gemacht, nicht abgeleitet, nicht geschaffen, ohne Schöpfer, unfruchtbar, beständig wie ein Berggipfel, feststehend wie eine Säule. Sie bewegen sich nicht, verfallen nicht und behindern einander nicht. Sie sind unfähig, einander Glück, Schmerz oder sowohl Glück als auch Schmerz zuzufügen. Und hier gibt es niemanden, der tötet oder andere zum Töten anstiftet; niemanden, der lernt oder andere unterrichtet; niemanden, der versteht oder anderen hilft, zu verstehen. Wenn man jemandem mit einem scharfen Schwert den Kopf abschlägt, nimmt man niemandem das Leben. Das Schwert gleitet einfach durch die Lücken zwischen den sieben kāyas.
In diesen Fällen bedeutet kāya nicht „Körper“, sondern eine „Masse“ oder „Substanz“, die die grundlegende Wirklichkeit der Existenz bildet.
Kāya kommt aus der Sicht der Suttas eindeutig eine zentrale Bedeutung in den nicht-vedischen Bewegungen zu, die es in der vedischen Philosophie nicht hat. Daher sollten wir uns ihnen zuwenden, um mehr Hintergrundinformation zu finden.
Das Problem hier besteht darin, dass die meisten dieser Asketen verschwunden sind und außer den Zitaten im Palikanon wenig hinterlassen haben. Was es noch schlimmer macht: Ihre Doktrinen wurden im Palikanon nicht immer einheitlich oder korrekt zugeordnet. Allerdings trifft es auch zu – ohne zu tief in die Geschichte einzutauchen –, dass diese Theoretiker oft enge Beziehungen hatten, vielleicht zusammen praktiziert und Ideen ausgetauscht haben. Daher ist es nicht zu weit hergeholt, anzunehmen, dass wir in den Texten der Jainas einen ähnlichen Gebrauch finden werden; sie sind die einzige dieser Gruppen, die Schriften hinterlassen hat, auch wenn diese aus einer späteren Periode stammen.
Hier haben wir mehr Erfolg, denn es gibt ein Jaina-Konzept astikāya:
https://www.wisdomlib.org/definition/astikaya
Astikāya ist lediglich eine formale Variation des gleichen Wortes, das wir als sakkāya kennen. Somit scheint es klar, dass es ein Ausdruck war, den der Buddha von den Jainas bezog, oder von den asketischen Lehrern allgemein.
Es gibt eine Diskussion des Konzepts im Bhagavati-Sutra der Jainas:
https://www.wisdomlib.org/jainism/book/bhagavati-sutra/d/doc374786.html
Die wichtigsten Punkte:
Astikāya bedeutet „existierende Substanz“ oder „ontologische Kategorie“.
Es bezieht sich auf fünf Dinge, die alle Wirklichkeit bestimmen: das Medium der Bewegung (dharma), das Medium der Ruhe (adharma), Raum (ākāśa), Seele (jīva) und Materie (pudgala).
Diese Terminologie ist sehr spezifisch für die Jainas, lassen Sie sich einfach mitziehen!
Diese Dinge schließen den Zustand der Befreiung ein.
Sie sind pluralistisch, viele atomistische Einheiten bilden einen übergeordneten astikāya, daher die Übersetzung „ontologische Kategorien“.
Das zeigt, dass die Bedeutung von kāya hier ähnlich der von khandha ist, d. h. „Masse“, „Konglomerat“, „Kategorie“.
https://www.wisdomlib.org/jainism/essay/a-study-of-the-philosophy-of-jainism/d/doc242108.html
https://www.wisdomlib.org/hinduism/book/a-history-of-indian-philosophy-volume-1/d/doc209778.html
Somit ist die übergeordnete Bedeutung „die Masse an Substanzen, die die gesamte Wirklichkeit ausmachen“.
Das stimmt weitgehend mit dem Gebrauch in den FBT überein:
Sakkāya ist als die fünf Aggregate definiert, was die Nähe von kāya und khandha im Sinn von „Masse“ im Unterschied zu „Körper“ betont.
Es wird in Begriffen der vier edlen Wahrheiten behandelt, daher ist sakkāya = dukkha = die gesamte bedingte Wirklichkeit.
Die Kommentare, die sakkāya durchgängig richtig zu sat + kāya zerlegen, erklären es als tebhūmakavaṭṭaṁ, d. h. „zyklische Existenz in den drei Bereichen“.
Daher gibt es keine Grundlage für Übersetzungen des Ausdrucks mit „persönlich“, und selbst Bodhis „persönliche Entität“ geht nicht weit genug, denn sakkāya schließt alle Phänomene ein, nicht nur solche, die zu einem Individuum gehören.
Ein wichtiger Unterschied zu den Jainas besteht darin, dass für den Buddha Nibbāna nicht in sakkāya eingeschlossen ist. Und nicht nur zu den Jainas, sondern auch „die Brahmāwelt ist unbeständig, währt nicht fort und ist Teil von sakkāya“ (SN 55.54).
Das beantwortet unsere frühere Frage: Warum wählte der Buddha diesen Ausdruck? Welchen Punkt versuchte er zu vermitteln? Er wollte klarstellen, dass in seiner Lehre, anders als bei den Jainas, das Ziel, Nibbāna, nicht Teil von sakkāya war.
Das gibt uns ein besseres Gefühl für die Bedeutung des Wortes und die rhetorische Absicht, mit der es gebraucht wurde. Wie sollen wir es nun übersetzen?
Offensichtlich müssen wir alle Übersetzungen mit „persönlich“ ablehnen, da sie den Sinn des Wortes überhaupt nicht vermitteln.
Wir sollten sakkāya auf jeden Fall auf eine Art übersetzen, die die Vorstellung von „wirklich“, „existierend“, „substanziell“ erkennen lässt.
Nun, die Philosophie der Jainas besagt, dass diese astikāyas eine Art von Substanz sind, die alle Wirklichkeit in sich einschließt. Sie werden tatsächlich als Formen von dravya („Substanz“) definiert:
https://en.wikipedia.org/wiki/Dravya
Das ist ein Beispiel für eine Art der philosophischen Herangehensweise, deren allgemeine Bezeichnung „Substanzialismus“ ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Substanz bzw. https://de.wikipedia.org/wiki/Substantialistisch
Wir können uns darauf stützen und eine weitgehende Übereinstimmung mit der Handhabung von astikāya im Jainismus bewahren, indem wir sakkāya mit „Substanz“ oder „substanzielle Wirklichkeit“ übersetzen und sakkāyadiṭṭhi mit „substanzialistische Ansicht über die Wirklichkeit“.


