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© Ajahn Brahmavamso, Abt des buddhistischen Klosters Bodhinyana, Spiritueller Direktor der buddhistischen Gesellschaft Westaustraliens
Perth, Australien, Januar 2016
Diese Broschüre darf ohne Erlaubnis nur zum Zweck der kostenlosen Verteilung vervielfältigt werden. In allen anderen Fällen ist eine schriftliche Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers erforderlich.
Deutsche Übersetzung von Kathrin Dixon und Silashin Sabbamitta, 2023. Lektorat: Bhikkhu Bodhidhaja
Einleitung
Seit mehr als 2500 Jahren ist die Religion, die wir heute als Buddhismus kennen, die wichtigste Inspiration für viele erfolgreiche Zivilisationen, eine Quelle großer kultureller Errungenschaften und ein dauerhafter und bedeutsamer Leitfaden zum eigentlichen Sinn des Lebens für Millionen von Menschen. Unzählige Männer und Frauen verschiedener Herkunft folgen heutzutage weltweit der Lehre des Buddha. Wer war nun der Buddha, und was sind seine Lehren?
Der Buddha
Der Mann, der später der Buddha werden sollte, wurde vor ungefähr 2500 Jahren als Siddhartha Gotama geboren, ein Prinz in einem kleinen Gebiet nahe der heutigen indisch-nepalesischen Grenze. Obwohl er in großem Wohlstand aufwuchs und adeliges Ansehen genoss, konnten noch so viele materielle Freuden die Unvollkommenheiten des Lebens vor dem ungewöhnlich wissbegierigen jungen Mann nicht verbergen. Mit 29 Jahren ließ er Wohlstand und Familie zurück, um in den einsamen Wäldern und entlegenen Bergen Nordostindiens nach einem tieferen Sinn zu suchen. Er studierte unter den weisesten religiösen Lehrern und Philosophen seiner Zeit und lernte alles, was sie zu bieten hatten, aber die Antworten, die er suchte, konnten sie nicht geben. Dann mühte er sich auf dem Pfad der Selbstkasteiung, auf dem er die Askese bis zum Äußersten trieb, aber immer noch vergebens.
Als er 35 Jahre alt war, saß er in der Vollmondnacht des Monats Mai in einem abgelegenen Wäldchen am Ufer des Flusses Neranjara unter den Ästen des Baumes, der heute als der Bodhibaum bekannt ist, und entfaltete seinen Geist in tiefer, leuchtender, stiller Meditation. Mit der außerordentlichen Klarheit eines so entfalteten Geistes, mit der scharfen und durchdringenden Kraft, die aus Zuständen tiefer innerer Stille entsteht, wandte er seine Aufmerksamkeit auf die Erforschung der Wahrheit des Geistes, der Welt und des Lebens. So gewann er die Erfahrung des höchsten Erwachens, und von da an war er als der Buddha, der Erwachte, bekannt.
Sein Erwachen bestand aus der tiefsten und allumfassenden Einsicht in die Natur des Geistes und aller Erscheinungen. Dieses Erwachen war keine Offenbarung durch ein göttliches Wesen, sondern eine Entdeckung, die er selbst auf der Grundlage der tiefsten Stufen der Meditation und der klarsten Erfahrung des Geistes gemacht hatte. Es bedeutete, dass er frei war von den Fesseln von Verlangen, Böswilligkeit und Täuschung, dass alle Arten inneren Leidens beseitigt waren und dass er unerschütterlichen Frieden erlangt hatte.
Die Lehren des Buddha
Nachdem er das Ziel des vollkommenen Erwachens verwirklicht hatte, verbrachte der Buddha die nächsten 45 Jahre damit, einen Weg zu lehren, der, wenn er gewissenhaft befolgt wird, jeden zu dem gleichen vollkommenen Erwachen führt, unabhängig von Rasse, gesellschaftlichem Status oder Geschlecht. Die Lehren über diesen Weg werden Dhamma genannt, was wörtlich ‚die Natur aller Dinge‘ bedeutet oder ‚die Wahrheit, die der Existenz zugrunde liegt‘. Es würde den Rahmen dieser Broschüre sprengen, eine vollständige Beschreibung all dieser Lehren zu geben, aber die folgenden sieben Themen geben einen Überblick darüber, was der Buddha lehrte.
1. Der Weg des Erkundens
Der Buddha warnte eindringlich vor blindem Vertrauen und empfahl den Weg des von Wahrhaftigkeit geleiteten Erkundens. Er zeigte die Gefahren auf, die entstehen, wenn man seinen Glauben bloß auf die Grundlagen von Hörensagen oder Überlieferung stützt, darauf, dass viele andere sagen, es sei so, auf die Autorität alter Schriften, das Wort eines übernatürlichen Wesens oder auf sein Vertrauen zu seinen Lehrern, zu Ältesten oder Priestern. Stattdessen bleibt man unvoreingenommen und erkundet sorgfältig seine eigene Lebenserfahrung. Wenn man selbst sieht, dass eine bestimmte Ansicht sowohl mit der Erfahrung als auch mit der Vernunft übereinstimmt und dass sie zum eigenen Glück und dem Glück aller führt, dann sollte man diese Ansicht annehmen und sein Leben an ihr ausrichten!
Dieser Grundsatz gilt auch für die Lehren des Buddha selbst. Sie sollten mithilfe der geistigen Klarheit, die aus der Meditation erwächst, erwogen und erkundet werden. Mit dem Tiefergehen der Meditation erlangt man irgendwann selbst Einsicht in diese Lehren, und erst dann werden sie zur eigenen Wahrheit, die glückselige Befreiung schenkt.
Der Reisende auf dem Weg des Erkundens muss tolerant sein. Toleranz heißt nicht, dass man jede Idee oder Ansicht übernimmt, sondern dass man über das, was man nicht akzeptieren kann, nicht in Zorn gerät. Im weiteren Verlauf der Reise könnte es sein, dass man etwas, mit dem man zuerst nicht einverstanden war, als wahr erkennt. Also, im Sinn des toleranten Erkundens, hier einige der grundlegenden Lehren des Buddha:
2. Die vier edlen Wahrheiten
Die Hauptlehre des Buddha richtet sich nicht auf philosophische Spekulationen über einen Schöpfergott oder den Ursprung der Welt, noch darauf, in ein ewiges Himmelreich zu gelangen. Die Lehre stellt vielmehr die nüchterne Realität des menschlichen Leidens und die dringende Notwendigkeit, dauerhafte Befreiung von allen Arten von Unzufriedenheit zu finden, in den Mittelpunkt. Der Buddha führte das Gleichnis von einem Mann an, der von einem giftigen Pfeil getroffen war und der, bevor er ärztliche Behandlung annahm, zuerst wissen wollte, wer den Pfeil abgeschossen hatte, aus welcher Gesellschaftsschicht er stammte, wo er herkam, welche Art von Bogen er benutzte, woraus der Pfeil gemacht war usw. Dieser törichte Mann würde sicher sterben, bevor seine Fragen beantwortet werden konnten. Ebenso, sagte der Buddha, müssten wir am dringendsten dauerhafte Befreiung von der immer wiederkehrenden Unzufriedenheit finden, die uns unseres Glückes beraubt und uns im Unfrieden lässt. Philosophische Spekulationen sind zweitrangig, und am besten stellt man sie zurück, bis man den Geist in der Meditation bis zu einem Punkt geschult hat, wo man fähig ist, die Wirklichkeit klar zu untersuchen und die Wahrheit selbst zu erkennen.
Daher ist die zentrale Lehre des Buddha, um die sich all seine anderen Lehren drehen, die Lehre von den vier edlen Wahrheiten:
Alle Wesen, Menschen und andere, werden von allen Arten von Enttäuschung, Traurigkeit, Unbehagen, Angst usw. geplagt. Kurz gesagt, sie müssen leiden.
Die Ursache dieses Leidens ist Verlangen, das aus der illusorischen Vorstellung einer ‚Seele‘ entspringt (siehe unten, Punkt 7).
Das Leiden wird mit der Erfahrung des Erwachens (Nirvana) ein für alle Mal beendet; das ist das völlige Loslassen der Illusion einer ‚Seele‘ und damit das Aufhören von Verlangen und Böswilligkeit.
Dieses friedvolle und glückselige Erwachen wird durch eine stufenweise Schulung erreicht, einen Weg, den man den mittleren Weg oder den achtfachen Pfad nennt.
Es wäre falsch, diese Lehre als ‚pessimistisch‘ zu bezeichnen, weil sie damit beginnt, das Leiden zu betrachten. Der Buddhismus ist vielmehr ‚realistisch‘, insofern, als er sich unerschrocken der Wahrheit der vielen Arten von Leiden im Leben stellt, und er ist ‚optimistisch‘, insofern, als er eine endgültige Lösung für das Problem aufzeigt: Nirvana, das Erwachen in diesem Leben! Diejenigen, die diesen höchsten Frieden erlangt haben, sind inspirierende Vorbilder, die unwiderruflich beweisen, dass der Buddhismus alles andere als pessimistisch ist; er ist vielmehr ein Pfad zu wahrem Glück.
3. Der mittlere Weg oder achtfache Pfad
Der Weg, der zum Ende allen Leidens führt, wird der mittlere Weg genannt, weil er die beiden Extreme des Schwelgens in Sinnenfreuden und der Selbstquälerei vermeidet. Nur wenn der Körper sich angemessen wohlfühlt, aber nicht zu verhätschelt ist, besitzt der Geist die notwendige Klarheit und Stärke, um tief zu meditieren und die Wahrheit zu entdecken. Dieser mittlere Weg besteht aus der unermüdlichen Entwicklung von Tugend, Meditation und Weisheit, die im Einzelnen als der achtfache Pfad erklärt sind:
Rechte Ansicht
Rechte Absicht
Rechte Rede
Rechtes Handeln
Rechter Lebenserwerb
Rechtes Bemühen
Rechte Achtsamkeit
Rechte Stille
(‚Recht‘ in dem Sinn, dass sie zu Glück führen und das Erwachen fördern.)
Rechte Rede, rechtes Handeln und rechter Lebenserwerb bilden die Schulung in Tugend oder Sittlichkeit. Für einen praktizierenden Laienbuddhisten bedeutet das die Einhaltung der fünf buddhistischen Ethikregeln, das heißt, man unterlässt:
das absichtliche Töten eines Lebewesens;
das Stehlen;
sexuelles Fehlverhalten, insbesondere Ehebruch;
das Lügen;
das Trinken von Alkohol und die Einnahme nicht ärztlich verordneter Drogen, was zur Schwächung der Achtsamkeit und des moralischen Urteilsvermögens führt.
Rechtes Bemühen, rechte Achtsamkeit und rechte Stille beziehen sich auf die Übung der Meditation, die durch die Erfahrung glückseliger Zustände innerer Stille den Geist läutert und ihn durch tiefgründige Augenblicke der Einsicht befähigt, den Sinn des Lebens zu erfassen.
Rechte Ansicht und rechte Absicht sind Manifestationen der Buddha-Weisheit, die alles Leiden beendet, die Persönlichkeit verwandelt und zu unerschütterlicher Gemütsruhe und unermüdlichem Mitgefühl führt.
Dem Buddha zufolge ist es unmöglich, ohne Vervollkommnung der Tugend die Meditation zu vervollkommnen, und ohne die Meditation zu vervollkommnen, ist es unmöglich, bei der Weisheit des Erwachens anzukommen. Somit ist der buddhistische Pfad ein allmählich fortschreitender, ein mittlerer Weg, der aus Tugend, Meditation und Weisheit besteht, der im achtfachen Pfad erklärt ist und zu Glück und Befreiung führt.
4. Karma
Karma heißt ‚absichtliche Handlung‘. Dem Karmagesetz zufolge haben unsere absichtlichen Handlungen unausweichliche Folgen. Es gibt Taten, die man mit dem Körper, der Sprache und dem Geist begeht, die zum eigenen Schaden, zum Schaden anderer oder zum Schaden beider führen. Solche Taten werden ‚schlechtes‘ oder ‚unheilsames‘ Karma genannt. Ihnen liegt Verlangen, Böswilligkeit oder Täuschung zugrunde, und weil sie schmerzhafte Folgen haben, sollte man sie nicht tun.
Es gibt auch Taten, die man mit dem Körper, der Sprache und dem Geist begeht, die zum eigenen Wohl, zum Wohl anderer oder zum Wohl beider führen. Solche Taten werden ‚gutes‘ oder ‚heilsames‘ Karma genannt. Ihnen liegt Großzügigkeit, Mitgefühl oder Weisheit zugrunde, und weil sie angenehme Folgen haben, sollte man sie so oft wie möglich tun.
Die Wirkungen des Karma kann man im Hier und Jetzt erfahren. Wenn wir etwas Freundliches tun oder auch nur einen freundlichen Gedanken denken, empfinden wir infolgedessen oft ein Gefühl der Zufriedenheit oder des Glücks. Wenn wir aber etwas Unfreundliches tun, können wir das als eine Abnahme unseres Glücksgefühls empfinden, als einen Verlust geistiger Energie und eine Schwächung der Achtsamkeit. Indem wir die Wirkungen, die unsere absichtlichen Handlungen auf uns haben, sorgfältig beobachten, beginnen wir, die Wirkungsweise des Karma zu verstehen, und das wiederum gibt uns einen kraftvollen Ansporn, ein heilsameres Leben zu führen.
Der Buddha wies darauf hin, dass überhaupt kein Wesen, nicht einmal ein göttliches, die Macht hat, die Folgen guten und schlechten Karmas aufzuhalten. Die Tatsache, dass man eben das erntet, was man gesät hat, gibt Buddhisten einen kraftvollen Ansporn, alle Arten schlechten Karmas zu vermeiden und möglichst viel gutes Karma zu tun.
Auch wenn man den Folgen schlechten Karmas nicht entkommen kann, kann man sie doch abmildern. Ein Löffel Salz, der in ein Glas Wasser gegeben wird, macht das ganze Glas Wasser sehr salzig, wohingegen der gleiche Löffel Salz, wenn er in einen Süßwassersee gegeben wird, kaum eine Auswirkung auf den Geschmack des Wassers hat. Ähnlich sind die Wirkungen schlechten Karmas bei einem Menschen, der gewohnheitsmäßig nur wenig gutes Karma tut, wirklich schmerzhaft, während die Folge des gleichen schlechten Karmas bei einem Menschen, der gewohnheitsmäßig viel gutes Karma tut, nur schwach zu spüren ist.
Dieses Naturgesetz des Karma wird so eine treibende Kraft und ein Grund für das Üben der buddhistischen Praxis von Sittlichkeit und Mitgefühl in unserer Gesellschaft.
5. Wiedergeburt
Der Buddha erinnerte sich sehr klar an viele seiner früheren Leben. Auch heute gibt es buddhistische Mönche und Nonnen und auch andere Menschen, die sich an ihre früheren Leben erinnern. Ein solch starkes Erinnerungsvermögen ist das Ergebnis tiefer Meditation. Für die, die sich an ihre früheren Leben erinnern, wird Wiedergeburt zu einer zweifelsfreien Tatsache, die das jetzige Leben in eine bedeutsame Perspektive rückt.
Das Karmagesetz kann man nur im Rahmen vieler Leben verstehen, weil es manchmal so lange dauert, bis Karma Früchte trägt. Somit bieten Karma und Wiedergeburt eine plausible Erklärung für die offensichtlichen Ungleichheiten bei der Geburt: Warum werden Manche in großen Reichtum und andere in erbärmliche Armut hineingeboren? Warum kommen manche Kinder in diese Welt gesund und mit vollständigen Gliedern, während andere missgestaltet und krank sind? Die schmerzhaften Folgen schlechten Karmas sollten nicht als Strafe für schlechte Taten angesehen werden, sondern als ein Gesetz, das sich nach natürlichen Gesetzmäßigkeiten entfaltet. Und indem man die Wirkungen des Karma in diesem Leben erfährt, lernt man die Kraft der Güte kennen.
Wiedergeburt spielt sich nicht nur innerhalb der Menschenwelt ab. Der Buddha wies darauf hin, dass der Bereich der Menschen nur einer unter vielen ist. Es gibt viele eigenständige himmlische Welten sowie auch düstere niedere Bereiche, zu denen das Tierreich und das Gespensterreich gehören. Wir können nicht nur in unserem nächsten Leben zu einem dieser Bereiche gehen, sondern es kann auch sein, dass wir aus einer solchen Welt in unser jetziges Leben gekommen sind. Das erklärt einen häufigen Einwand gegen die Wiedergeburt: „Wie kann es Wiedergeburt geben, wenn heute zehnmal so viele Menschen leben wie vor hundert Jahren?“ Die Antwort lautet, dass die Menschen, die heute leben, aus vielen verschiedenen Bereichen gekommen sind.
Das Verständnis, dass wir uns zwischen verschiedenen Welten hin- und herbewegen, gibt uns mehr Achtung vor den Wesen in diesen Welten und mehr Mitgefühl mit ihnen. Es ist zum Beispiel unwahrscheinlich, dass man Tiere ausbeuten würde, wenn man das Bindeglied der Wiedergeburt gesehen hat, das sie mit uns verbindet.
6. Kein Schöpfergott
Der Buddha wies auch darauf hin, dass kein Gott oder Priester oder irgendein anderes Wesen die Macht hat, in die karmischen Abläufe eines Anderen einzugreifen. Der Buddhismus lehrt daher den Einzelnen, die volle Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Wenn du etwa wohlhabend sein willst, sei großzügig, vertrauenswürdig und gewissenhaft, und wenn du in einer himmlischen Welt leben willst, sei zu anderen stets gütig. Es gibt keinen Gott, von dem man etwas erbitten könnte, oder, anders ausgedrückt, in den Abläufen des Karmagesetzes ist Korruption nicht möglich.
Glauben Buddhisten, dass ein höheres Wesen die Welt erschaffen hat? Buddhisten würden zuerst fragen, welche Welt du meinst. Dieses gegenwärtige Universum vom Augenblick des ‚Urknalls‘ bis heute ist in der buddhistischen Kosmologie nur eines in einer endlosen Reihe. Wenn der Zyklus eines Weltalls endet, beginnt ein neuer, immer wieder, einem unpersönlichen Gesetz folgend und ohne erkennbaren Anfang. In diesem System ist ein Schöpfergott überflüssig.
Kein Wesen ist ein höchster Erlöser, weil Götter, Menschen, Tiere und alle anderen Wesen dem Karmagesetz unterliegen. Selbst der Buddha hatte nicht die Macht, zu erlösen – er konnte nur die Wahrheit zeigen, sodass Weise sie selbst sehen konnten. Jeder muss selbst die Verantwortung für sein künftiges Wohlergehen übernehmen, und es ist gefährlich, diese Verantwortung an jemand anderen abzutreten.
7. Die illusorische Vorstellung einer ‚Seele‘
Der Buddha lehrte, dass es in einem Lebewesen keine ‚Seele‘ gebe, keinen Kern, der sein Wesen ausmacht und dauerhaft ist. Vielmehr kann man das, was wir ein ‚Lebewesen‘ nennen, ein menschliches oder ein anderes, einfach als ein zeitweiliges Zusammenkommen vieler Teile und Aktivitäten ansehen: Wenn es vollständig ist, wird es ‚Lebewesen‘ genannt, aber wenn die Teile getrennt wurden und die Aktivitäten aufgehört haben, nennt man es nicht mehr ‚Lebewesen‘. Wie ein Computer, der aus vielen Teilen und Aktivitäten zusammengesetzt ist: Nur wenn er vollständig ist und folgerichtige Funktionen erfüllen kann, wird er ‚Computer‘ genannt, aber wenn er auseinandergenommen wurde und die Funktionen aufgehört haben, wird er nicht mehr ‚Computer‘ genannt. Man kann keinen Kern finden, der sein Wesen ausmacht und dauerhaft ist, den man wahrhaftig den ‚Computer‘ nennen könnte, und geradeso kann in einem Lebewesen kein Kern gefunden werden, der sein Wesen ausmacht und dauerhaft ist, den wir die ‚Seele‘ nennen könnten.
Dennoch geschieht Wiedergeburt ohne eine ‚Seele‘. Betrachten wir folgendes Gleichnis: Auf einem buddhistischen Schrein ist eine Kerze heruntergebrannt und ist dabei, auszugehen. Ein Mönch nimmt eine neue Kerze und zündet sie an der alten an. Die alte Kerze erlischt und die neue Kerze brennt hell. Was ging von der alten Kerze zu der neuen über? Es gab ein ursächliches Bindeglied, aber kein ‚Ding‘ ging hinüber! Ebenso gab es ein ursächliches Bindeglied zwischen unserem früheren Leben und dem jetzigen Leben, aber keine ‚Seele‘ ging hinüber.
Tatsächlich wird die Illusion einer ‚Seele‘ vom Buddha als die Grundursache für alles menschliche Leid bezeichnet. Die Illusion der ‚Seele‘ manifestiert sich als das ‚Ich‘. Die natürliche, nicht aufzuhaltende Funktion des Ich ist es, zu beherrschen. Große Egos wollen die Welt beherrschen, durchschnittliche Egos versuchen, ihr unmittelbares Umfeld in Haus und Familie und am Arbeitsplatz zu beherrschen, und alle Egos sind bestrebt, das zu beherrschen, was sie für ihren eigenen Körper und Geist halten. Dieses Beherrschenwollen zeigt sich als Begierde und Ablehnung, und es führt zu einem Mangel an innerem Frieden ebenso wie äußerer Harmonie. Es ist dieses Ich, das Besitz erwerben, andere manipulieren und die Umwelt ausbeuten will. Sein Ziel ist sein eigenes Glück, aber es erzeugt ausnahmslos Leiden. Es verlangt nach Befriedigung, aber erfährt Unzufriedenheit. Ein so tief verwurzeltes Leiden kann kein Ende finden, bis man, durch Einsicht auf der Grundlage tiefer und kraftvoller Meditation, sieht, dass die Vorstellung von ‚ich‘ und ‚mein‘ nichts als ein Trugbild ist.
Diese sieben Themen sind eine Kostprobe dessen, was der Buddha lehrte. Um nun diesen kurzen Abriss des Buddhismus zu vervollständigen, wollen wir uns anschauen, wie diese Lehren heute ausgeübt werden.
Formen des Buddhismus
Man könnte sagen, es gebe nur eine Form des Buddhismus, nämlich die riesige Sammlung an Lehren, die vom Buddha ursprünglich gelehrt wurden. Diese Lehren findet man im Palikanon, den alten Schriften des Theravada-Buddhismus, die weithin als die älteste und verlässlichste Aufzeichnung der Worte des Buddha angesehen werden. Der Theravada-Buddhismus ist die vorherrschende Religion in Thailand, Myanmar, Sri Lanka, Kambodscha und Laos.
Einige Jahrhunderte nach dem Tod des Buddha begann die klösterliche Gemeinschaft, sich in einzelne Schulen aufzugliedern. Das war die Folge doktrinaler Differenzen und geografischen Auseinanderdriftens. Eine dieser Schulen war der Theravada-Buddhismus; sie hatte ursprünglich ihren Sitz vor allem in Sri Lanka. Eine andere war die Sarvastivada-Schule, deren Hochburg in Kaschmir war. Erhebliche Teile der Sarvastivada-Texte wurden ins Chinesische übersetzt und sind in dieser Sprache bis heute verfügbar. Insgesamt gab es in den ersten Jahrhunderten nach dem Buddha etwa zwanzig frühe Schulen in verschiedenen Teilen Indiens.
Um den Beginn der christlichen Zeitrechnung tauchten bis dahin unbekannte Schriften auf, die versuchten, die Überlegenheit des Bodhisattva gegenüber dem Arahant zu begründen. Diese neue Bewegung nannte sich selbst Mahayana. Ihre Anhänger behielten die ursprünglichen Lehren des Buddha (die als Agamas oder Nikayas bekannt sind) bei, betrachteten sie aber schließlich als zweitrangig im Vergleich zu den neuen Interpretationen und Vorstellungen, die in den Mahayana-Schriften enthalten sind.
Der Buddhismus, der in China eingeführt wurde und der in Taiwan noch sehr lebendig ist, spiegelt die frühe Entwicklung des Mahayana wieder. Von China aus verbreitete sich der Mahayana nach Vietnam, Korea und Japan, und daraus ging unter anderem der Zen-Buddhismus hervor. Der Buddhismus in Tibet und der Mongolei ist eine noch spätere Entwicklung, die gewöhnlich als ‚Vajrayana‘ bekannt ist.
Die Bedeutung des Buddhismus in der heutigen Welt
Heute gewinnt der Buddhismus weiterhin immer mehr Akzeptanz in vielen Ländern, die weit von seiner ursprünglichen Heimat entfernt sind. Menschen in der ganzen Welt nehmen aus eigener sorgfältiger Entscheidung die friedvolle, mitfühlende und verantwortungsvolle Art des Buddhismus an.
Die buddhistische Lehre vom Karmagesetz gibt den Menschen eine gerechte und unbestechliche Grundlage und Motivation, um ein moralisches Leben zu führen. Es ist leicht zu erkennen, wie eine umfassendere Annahme des Karmagesetzes jedes Land hin zu einer stärkeren, fürsorglicheren und tugendhafteren Gesellschaft führen würde.
Die Lehre von der Wiedergeburt rückt dieses gegenwärtige kurze Leben in einen weiteren Blickwinkel und verleiht den entscheidenden Vorgängen von Geburt und Tod mehr Sinn. Wenn wir Wiedergeburt verstehen, nimmt das dem Tod so viel von der Tragik und dem Kummer, die ihn umgeben, und lenkt unsere Aufmerksamkeit von der bloßen Länge eines Lebens auf seine Qualität.
Von Anfang an machte die Praxis der Meditation das Herzstück des buddhistischen Pfades aus. Heute wird Meditation immer beliebter, da ihre nachgewiesenen positiven Effekte auf das geistige und körperliche Wohlbefinden zunehmend bekannt werden. Mit dem Nachweis, dass Stress eine so wichtige Ursache für menschliches Leiden ist, wird die beruhigende Übung der Meditation mehr denn je geschätzt.
Unsere Welt ist zu klein und zu verletzlich, um auf ihr voller Ärger und allein zu leben, daher sind Toleranz, Liebe und Mitgefühl so überaus wichtig. Diese Eigenschaften des Geistes, die für das Glück wesentlich sind, werden in der buddhistischen Meditation entwickelt und dann im täglichen Leben unablässig umgesetzt.
Versöhnlichkeit, Sanftmut, Gutmütigkeit und friedvolles Mitgefühl sind die bekannten ‚Markenzeichen‘ des Buddhismus, und sie werden allen Wesen offen und umfassend geschenkt, natürlich auch den Tieren, und, nicht zu vergessen, uns selbst. Das Verharren in Schuldgefühlen und Selbsthass hat keinen Platz im Buddhismus, nicht einmal das Sich-Schuldig-Fühlen wegen seiner Schuldgefühle!
Es sind Lehren und Übungen wie diese, die Eigenschaften wie sanfte Güte, unerschütterliche Gemütsruhe und Weisheit hervorbringen, die seit über 25 Jahrhunderten mit der buddhistischen Religion in Verbindung gebracht und in der heutigen Welt schmerzlich gebraucht werden. Es sind dieser Friede und diese Toleranz, aus einer tiefgründigen und doch in Vernunft gegründeten Philosophie erwachsen, welche die Botschaft des Buddha zeitlos und äußerst wertvoll machen.


