Dhammaregen-Newsletter Juli 2024
Neues rund um Dhammaregen und frühe buddhistische Texte
Der heutige Newsletter widmet sich dem Ehrwürdigen Māluṅkyaputta, wobei er eine überraschende Geistesverwandtschaft entdeckt.
Ein törichter Fragesteller …
In mehreren Suttas begegnet uns ein Mönch mit Namen Māluṅkyaputta. Im Majjhima-Nikāya sind zwei Unterredungen zwischen ihm und dem Buddha überliefert, in denen er nicht gerade eine großartige Figur macht.
In MN 63 besteht er darauf, dass der Buddha sich auf eine von zehn in Debatten beliebten Hypothesen festlegt, und droht damit, im anderen Fall die Robe abzulegen. Der Buddha vergleicht seine Haltung mit der eines Menschen, der von einem vergifteten Pfeil getroffen wurde und jede ärztliche Behandlung ablehnt, solange er keine genauen Informationen über den Schützen und seine Waffe hat:
Wie wenn jemand von einem Pfeil getroffen würde, der dick mit Gift bestrichen wäre. Seine Freunde und Kollegen, Verwandten und Sippenangehörigen ließen einen Wundarzt kommen, um ihn zu behandeln. Doch der Mann würde sagen:
‚Ich werde diesen Pfeil nicht herausziehen, ehe ich nicht weiß, ob der Mann, der mich verwundet hat, ein Adliger, ein Brahmane, ein Landarbeiter oder ein Hilfsarbeiter war.‘ Er würde sagen: ‚Ich werde diesen Pfeil nicht herausziehen, ehe ich nicht den Namen und Stamm des Mannes kenne, der mich verwundet hat; ehe ich nicht weiß, ob er groß, klein oder mittelgroß war; ehe ich nicht weiß, ob er von schwarzer, brauner oder lohfarbener Hautfarbe war; ehe ich nicht weiß, aus welchem Dorf, welchem Marktflecken oder welcher Stadt er kam; ehe ich nicht weiß, ob der Bogen, der mich verwundet hat, ein gerader oder ein Recurvebogen war; ehe ich nicht weiß, ob die Bogensehne aus Schwalbenwurz, Hanf, Sehne, Bogenhanf oder Seidelbast war; ehe ich nicht weiß, ob der Pfeilschaft aus wild gewachsenem oder angebautem Holz war; ehe ich nicht weiß, ob der Pfeil eine Befiederung aus Geier-, Krähen-, Habichts-, Pfauen- oder Storchenfedern hatte; ehe ich nicht weiß, ob der Schaft mit Sehnen von Kuh, Büffel, schwarzem Löwen oder Affe umwickelt war; und ehe ich nicht weiß, ob die Pfeilspitze Nadeln, eine Rasiermesserspitze oder Widerhaken hatte, ob sie aus Eisen oder einem Kalbszahn war oder ob es eine Ahl-Spitze war.‘
Dieser Mann würde zwischenzeitlich sterben, ohne diese Dinge erfahren zu haben.
Ebenso würde, wenn jemand sagen würde: ‚Ich will das geistliche Leben unter dem Buddha nicht führen, bevor der Buddha mir nicht erklärt, dass das Weltall ewig ist oder dass es zeitlich ist … oder dass ein Klargewordener nach dem Tod weder fortbesteht noch nicht fortbesteht‘, das dennoch vom Klargewordenen nicht erklärt, und inzwischen würde dieser Mensch sterben.
Offenbar findet Māluṅkyaputta dieses Gleichnis einleuchtend, denn in einem weiteren Gespräch mit dem Buddha in MN 64 ist von Ablegen der Robe keine Rede mehr, und Māluṅkyaputta gibt auf eine Frage des Buddha eine vernünftige Antwort. Obwohl die Antwort richtig ist, weist der Buddha ihn allerdings scharf zurecht, wie er es sonst mit Leuten tut, die gefährliche Irrlehren verbreiten. Warum er das tut, ist nicht ganz klar. Bhante Sujato mutmaßt in einer Anmerkung, es könnte darum gehen, dass Māluṅkyaputta mögliche noch vorhandene, aber inaktive zugrunde liegende Neigungen nicht berücksichtigt – worauf das Gleichnis vom Säugling hinweist, das der Buddha hier anführt.
Würden die Wanderer anderer Konfessionen das nicht mittels des Gleichnisses vom Säugling beanstanden? Denn ein kleines Kind hat nicht einmal ein Konzept von ‚substanzieller Wirklichkeit‘, wie kann da eine substanzialistische Ansicht in ihm aufkommen? Doch die zugrunde liegende Neigung zu substanzialistischer Ansicht ist noch in ihm vorhanden.
(Zu der Übersetzung „substanzielle Wirklichkeit“ und „substanzialistische Ansicht“ siehe Bhante Sujatos Essay „Über sakkāya, Identität und substanzielle Wirklichkeit“.)
Nach dieser Klarstellung fährt der Buddha auf Ānandas Bitte hin fort, die fünf niederen Fesseln ausführlich zu erklären.
… gibt weise Antworten
Und obwohl in MN 64 dazu nichts mehr gesagt wird, scheint es doch, dass der Ehrwürdige Māluṅkyaputta etwas von dieser Unterweisung mitgenommen hat. Jedenfalls bleibt er in der Robe und bittet schließlich als alter Mann (wir wissen nicht, wie alt er bei den Ereignissen in MN 63 und 64 war) um eine Unterweisung, mit der er sich zu intensiver Meditation zurückziehen kann.
Von dieser Episode gibt es zwei Versionen, eine kürzere in AN4.257 und eine ausführlichere in SN35.95. Wir wollen uns die zweite etwas näher anschauen.
Nachdem er Māluṅkyaputta gefragt hat, ob er irgendeine Form von Zuneigung zu Sinneswahrnehmungen habe, die er nie wahrgenommen hat und die er sich nicht einmal theoretisch vorstellen kann, und Māluṅkyaputta durchgehend mit „Nein“ geantwortet hat, fährt der Buddha fort:
„Wenn das so ist – wenn es um sichtbare, hörbare, denkbare und erkennbare Dinge geht: Im Gesehenen wird nur das Gesehene sein; im Gehörten wird nur das Gehörte sein; im Gedachten wird nur das Gedachte sein; im Erkannten wird nur das Erkannte sein. Wenn das so ist, wirst du nicht ‚durch dieses‘ sein. Wenn du nicht ‚durch dieses‘ bist, wirst du nicht ‚in diesem‘ sein. Wenn du nicht ‚in diesem‘ bist, wirst du nicht in dieser Welt sein, nicht in jener Welt und nicht zwischen den beiden. Eben das ist das Ende des Leidens.“
Klingt diese Formulierung irgendwie bekannt?
Es gibt ein Sutta im Udāna, über das viel geschrieben und diskutiert wurde, in dem Bāhiya mit dem Rindenkleid eine Unterredung mit dem Buddha hat und anschließend von einer Kuh überrannt wird. Da finden wir (Ud1.10):
„In diesem Fall, Bāhiya, sollst du dich so schulen: ‚Im Gesehenen wird nur das Gesehene sein; im Gehörten wird nur das Gehörte sein; im Gedachten wird nur das Gedachte sein; im Erkannten wird nur das Erkannte sein.‘ So sollst du dich schulen. Wenn du dich auf diese Art geschult hast, wirst du nicht ‚durch dieses‘ sein. Wenn du nicht ‚durch dieses‘ bist, wirst du nicht ‚in diesem‘ sein. Wenn du nicht ‚in diesem‘ bist, wirst du nicht in dieser Welt sein, nicht in jener Welt und nicht zwischen den beiden. Eben das ist das Ende des Leidens.“
Es sind die einzigen beiden Stellen im Kanon, an denen man diese Formulierung findet.
Im Unterschied zu Bāhiya, der auf die Worte des Buddha nichts weiter antwortet, erklärt Māluṅkyaputta selbst die ausführliche Bedeutung dieser kurzen Unterweisung in einer langen Reihe von Strophen, die der Buddha anschließend bestätigt:
‚Wenn du ein Bild siehst und die Achtsamkeit verlierst, richtest du den Geist auf ein anziehendes Merkmal. Indem du es mit begehrlichem Geist erfährst, hältst du weiter daran fest. Aus Bildern entstehen viele Gefühle. Durch Begehrlichkeit und Grausamkeit wird der Geist geschädigt. Wenn du so Leiden anhäufst, heißt es, du seist vom Erlöschen weit entfernt. … Wenn du ein Bild mit Achtsamkeit siehst, gibt es kein Begehren von Bildern. Indem du es mit von Begehren freiem Geist erfährst, hältst du nicht weiter daran fest. Selbst wenn du ein Bild siehst und mit dem Gefühl, das es auslöst, vertraut wirst, trägst du ab und häufst nicht an: So lebt man achtsam. Wenn du so Leiden abträgst, heißt es, du seist dem Erlöschen nahegekommen. (Das Gleiche wird für alle anderen Sinne wiederholt.)
Von beiden Schülern heißt es am Ende, sie wurden Vollendete. Māluṅkyaputta, der Debattierer, gibt eine Erklärung dessen, was er verstanden hat. Bāhiya, der schon lange ein zurückgezogener Asket war, durchläuft den gleichen Prozess im Schweigen. So half diesen beiden so unterschiedlichen Menschen offenbar der gleiche Anstoß, um zum Erwachen vorzudringen.
Und der Newsletter schließt mit zwei Strophen aus dem Dhammapada, die wir auch in einem Gedicht des Ehrwürdigen Māluṅkyaputta finden:
Jeder, über den dieses erbärmliche Verlangen die Oberhand hat, dieses Sich-Klammern an die Welt, dessen Kummer wächst wie Gras im Regen. Doch jeder, der die Oberhand über dieses erbärmliche Verlangen hat, dem in der Welt so schwer zu entkommen ist, dessen Kummer fällt von ihm ab wie ein Wassertropfen von einem Lotusblatt. Dhp 335-336
Neu auf Dhammaregen
Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Suttas hinzugefügt:
MN 66-69
Snp 4.3
Übersicht über alle Übersetzungen
Sutta-Erkundungen
Die Sutta-Erkundungen sind ein monatliches Online-Format zum Studium der Suttas in einer Gruppe, das sich an die lectio divina aus der alten christlichen Klostertradition anlehnt. Das ermöglicht ein eher meditatives Herangehen an die Suttas. Die Sutta-Erkundungen finden jeden ersten Freitag im Monat statt.
Nächste Termine: 5. Juli, 2. August und 6. September 2024 jeweils 18:30 – 20:00 h MESZ.
Bei Interesse senden Sie bitte eine Email an dhammaregen@gmail.com. Sie werden dann eine Einladung mit den Zoom-Zugangsdaten erhalten.
Newsletter-Empfang
Wenn Sie in Zukunft unsere Nachrichten empfangen möchten, melden Sie sich mit einer formlosen Email an dhammaregen@gmail.com zum Newsletter an. Wenn Sie die Nachrichten nicht mehr empfangen möchten, senden Sie eine Email, um sich abzumelden.
Frühere Newsletter finden Sie im Newsletter-Archiv.


