Dhammaregen-Newsletter November 2025
Neues rund um Dhammaregen und frühe buddhistische Texte
Auch dieser Newsletter befasst sich wie der vorige mit den Lehren der Jainas, und zwar mit ihrem Verständnis von Kamma, Taten. Ebenso schaut er nach dem gleichen Thema in einer brahmanischen Tradition. Er hat auch noch einen neu übersetzten Essay von Bhikkhu Sujato sowie Links zu Videovorträgen von ihm zu den Jātakas.
Wenn Sie diesen Newsletter lieber auf der Webseite lesen, finden Sie ihn im Newsletter-Archiv.
Zunächst eine Bemerkung in eigener Sache
Es ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen, dass der Dhammaregen-Newsletter in letzter Zeit nicht mehr jeden Monat erschienen ist. Ich habe beschlossen, mit dem Newsletter ein wenig kürzer zu treten, da ich aufgrund verschiedener Umstände kaum noch zur Arbeit an meinem Sutta-Übersetzungsprojekt gekommen bin. Ich will versuchen, den Rhythmus vorerst bei jedem zweiten Monat zu belassen, oder vielleicht auch auf einmal im Quartal reduzieren. Ich hoffe, es macht dennoch weiterhin Freude, ihn zu lesen!
Alles ist das Ergebnis früherer Taten
‚Alles, was dieses Individuum erfährt – angenehm, schmerzhaft oder neutral –, all das liegt an seinen früheren Taten. Indem man vergangene Taten mittels inbrünstiger Bußübung vernichtet und keine neuen Taten tut, kommt so in Zukunft nichts mehr auf. Ohne künftige Wirkung werden Taten aufgelöst; mit dem Auflösen der Taten wird das Leiden aufgelöst; mit dem Auflösen des Leidens wird Gefühl aufgelöst; und mit dem Auflösen des Gefühls wird alles Leiden abgetragen sein.‘ So ist die Lehre der Jaina-Asketen.
Mit dieser Aussage der Jainas befasst sich MN 101. Auf den ersten Blick klingt sie wie eine Variante des abhängigen Entstehens, der Sequenz des Aufhörens, da sie wie ihr buddhistisches Gegenstück mit der Auflösung des Leidens endet. Der Buddha nimmt sie allerdings genauer unter die Lupe und deckt verschiedene logische Fehlschlüsse darin auf.
Interessanterweise hört man die Ansicht, dass alle unsere Erfahrungen durch unser Kamma bedingt sind, heute recht häufig von Buddhisten. Obwohl der Buddha lehrte, dass früheres Kamma unsere Erfahrungen mit prägt, tat er das aber nie in dieser ausschließlichen Weise. Die Art unserer Wiedergeburt, d. h. dass wir zum Beispiel Menschen sind, unterliegt unserem früheren Kamma, aber bei Weitem nicht jede einzelne Erfahrung innerhalb dieses Lebens.
Dem Wanderer Moḷiyasīvaka, der den Buddha in SN 36.21 zu ebendieser Ansicht befragt, antwortet dieser:
Sīvaka, manche Gefühle werden durch gallebedingte Störungen hervorgerufen … durch schleimbedingte Störungen … durch windbedingte Störungen … durch deren Mischung … durch Wetterwechsel … durch mangelnde Selbstfürsorge … durch Überanstrengung … Manche Gefühle sind das Ergebnis früherer Taten. Du kannst das aus deiner eigenen Erfahrung verstehen, und es wird allgemein als wahr erachtet.
Da das so ist, gehen die Asketen und Brahmanen, die die Ansicht haben, dass alles, was ein Individuum erfährt, an seinen früheren Taten liegt, über persönliche Erfahrung und über das, was allgemein als wahr erachtet wird, hinaus. Daher haben diese Asketen und Brahmanen unrecht, sage ich.
Leider ist dies nicht bloß eine theoretische Debatte. Denn obwohl es generell als gutes Kamma gilt, als Mensch wiedergeboren zu sein, wird diese ausschließliche Kammalehre manchmal als Vorwand benutzt, um Diskriminierung gegen unterprivilegierte Personen zu rechtfertigen (nach dem Motto: „selbst schuld, schlechtes Karma“), sodass sie tatsächlich schädliche Folgen für das Leben konkreter Menschen hat.
Im Fall der Jainas in MN 101 stellt der Buddha fest, dass ihre schmerzhaften Gefühle immer dann auftreten, wenn sie ihre „inbrünstigen Bußübungen“ verrichten, d. h. verschiedene Arten schmerzhafter Selbstkasteiung, und andernfalls nicht. Wenn ihre Theorie richtig wäre, müsste es ihnen eigentlich besser gehen, wenn sie mittels dieser Bußübungen ihr früheres schlechtes Kamma abtragen, aber das Gegenteil ist der Fall. Weder auf diesen noch auf andere Denkfehler, die der Buddha anspricht und mit eindrucksvollen Gleichnissen illustriert, haben die Jainas offenbar eine stichhaltige Antwort.
Dann stellt der Buddha verschiedene Alternativen vor, wie Anstrengung sinnvoll eingesetzt werden kann. Wenn sie tatsächlich zu dem gewünschten Ergebnis führt, ist sogar schmerzhafte Anstrengung gerechtfertigt, aber nur, bis das entsprechende Ziel erreicht ist. Diese Alternativen sind nicht als spezifisch buddhistisch anzusehen, aber der Buddha erkennt sie als vernünftig an. Und als dritte Alternative stellt er schließlich seine eigene Lehre, die stufenweise Schulung, vor; und die ist alles andere als schmerzhaft, sondern schließt Zustände immer tieferen Glücks ein. ✨
Lesen und hören Sie die gesamte Lehrrede MN 101.
Kamma als Ritual oder als moralisches Handeln?
Gehen wir nun von den Jainas zu den Brahmanen. Auch die Brahmanen haben Vorstellungen zum Kamma, die vom Buddha kritisiert werden. Eine besonders interessante Lehrrede, die auch zeitgeschichtliche Bezüge aufweist, ist hierbei AN 10.176.
Die Brahmanen sind in Indien die Erben der vedischen Kultur, die von Nordwesten her aus der Gegend um das Schwarze Meer nach Indien vordrang. Innerhalb der Gangesebene breitete sie sich dann von Westen nach Osten weiter aus. Dabei entwickelten sich mit der Zeit auch Strömungen, die von den ursprünglichen orthodoxen Ansichten abwichen.
In der vedischen / brahmanischen Kultur nahmen Zeremonien und Opferrituale einen breiten Raum ein. So war es etwa für einen Brahmanen wichtig, wenigstens einen Sohn zu zeugen, der nach seinem Tod die richtigen Bestattungsriten ausführte, damit die jenseitige Reise des Verstorbenen in die richtigen Bahnen gelenkt wurde. Das Kamma, die Taten, die diese Reise prägten, waren somit in erster Linie die rituellen Handlungen der Hinterbliebenen, durch die der Verstorbene mit dem Rauch des Bestattungsfeuers zum Himmel getragen wurde. Eine moralische Bedeutung hatte der Kammabegriff in diesem Zusammenhang nicht.
Diese kam erstmals wenige hundert Jahre vor dem Buddha auf, als sich im Raum Kosala, wozu auch die Republik der Sakyer gehörte, die Heimat des Buddha, eine mehr innerliche, kontemplative Strömung herausbildete, deren Gedankengut uns in den frühen Upanishaden überliefert wurde. Einer ihrer wichtigsten Vertreter war der Weise Yājñavalkya (ein- bis zweihundert Jahre vor dem Buddha), und auch die ersten Lehrer des Buddha, Āḷāra Kālāma und Uddaka der Sohn Rāmas, gehörten offenbar dieser Strömung an. Daher war der Buddha mit diesen Lehren gut vertraut, wie zahlreiche Anknüpfungspunkte an Passagen aus den Upanishaden in den Suttas belegen.
In den Upanishaden finden wir neben Beschreibungen über die jenseitige Reise wie die oben genannte auch solche, die den Begriff kamma nach moralischen Gesichtspunkten interpretieren. Der Buddha teilte offenbar die Einschätzung, dass das Kamma, das unser nächstes Leben prägt, moralischer und nicht ritueller Natur ist. Er ging sogar noch weiter als Yājñavalkya, der weiterhin Opferzeremonien durchführte, was der Buddha ablehnte.
In unserem Sutta AN 10.176 erklärt sein Gesprächspartner Cunda dem Buddha, dass er „an die Reinheit glaubt, die die Brahmanen des Westens verfechten, die mit Moos behängt sind, Wasserkrüge tragen, der heiligen Flamme huldigen und ins Wasser eintauchen“. Diese „Brahmanen des Westens“ vertraten offenbar andere Ansichten als Yājñavalkya und seine Schüler, die der Buddha kennenlernte und die zu den Kosaler Brahmanen gehörten, die im Vergleich zum vedischen Ursprungsland weiter östlich angesiedelt waren. Dementsprechend muss der Buddha auch nachfragen, welcher Art die Reinheit ist, die diese Brahmanen des Westens vertreten; mit ihrer Lehre ist er nicht vertraut.
Wir erfahren dann in dem Sutta, dass nach der Lehre der Brahmanen des Westens Reinheit rein durch rituelle Handlungen definiert ist, und wie zu erwarten, stellt der Buddha dieser Vorstellung eine moralisch begründete Form von Reinheit gegenüber.
Lesen und hören Sie die gesamte Lehrrede AN 10.176.
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Der Newsletter schließt mit einer Strophe über Reinheit aus dem Itivuttaka („So wurde es gesagt“):
Reinheit des Körpers, Reinheit der Sprache, und unbefleckte Reinheit des Herzens: Ein reiner Mensch, mit Reinheit gesegnet, hat alles aufgegeben, so heißt es. Iti 66
🔸 Neu auf Dhammaregen
Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Essays und weiteren Ressourcen hinzugefügt:
Bhikkhu Sujato, Über die asketischen Praktiken. Zum Essay
Bhikkhu Sujato, Videovorträge zu den Jātakas (englisch). Zu den Videos
Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Suttas hinzugefügt:
MN 101-103
Ja 46-47
Übersicht über alle Übersetzungen
🔸 Sutta-Erkundungen
Die Sutta-Erkundungen sind ein monatliches Online-Format zum Studium der Suttas in einer Gruppe, das sich an die lectio divina aus der alten christlichen Klostertradition anlehnt. Das ermöglicht ein eher meditatives Herangehen an die Suttas. Die Sutta-Erkundungen finden jeden ersten Freitag im Monat statt.
Nächste Termine: 7. November, 5. Dezember 2025 und 2. Januar 2026 jeweils 18:30 – 20:00 h MEZ.
Bei Interesse senden Sie bitte eine E-Mail an dhammaregen@gmail.com. Sie werden dann eine Einladung mit den Zoom-Zugangsdaten erhalten.
🔸 Geleitete Meditation
Für die iSangha-Gruppe des Klosters Tilorien wird von Silashin Sabbamitta am zweiten Dienstag jeden Monats eine angeleitete Meditation in deutscher Sprache angeboten. Der nächste Termin ist der 11. November 2025 von 18:00 bis 19:00 Uhr MEZ. Bei Interesse senden Sie bitte eine E-Mail an dhammaregen@gmail.com, damit Sie in den Verteiler aufgenommen werden und die Zoom-Zugangsdaten erhalten können.
🔸 Newsletter-Empfang
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