Dhammaregen-Newsletter September 2025
Neues rund um Dhammaregen und frühe buddhistische Texte
Der heutige Newsletter befasst sich mit einem Punkt in der Philosophie der Jainas und wohnt Begegnungen des Buddha mit prominenten Vertretern dieser Religion bei.
Wenn Sie diesen Newsletter lieber auf der Webseite lesen, finden Sie ihn im Newsletter-Archiv.
Die vierfache Beschränkung Mahāvīras
Wenn religiöse Texte einer bestimmten Richtung über den Glauben einer anderen Richtung sprechen, kann man nicht von vorneherein davon ausgehen, dass deren Vorstellungen in einem unvoreingenommenen oder gar positiven Licht dargestellt werden. Immerhin ist es der religiöse Text dieser bestimmten Richtung, und die Versuchung, die „Konkurrenz“ möglichst negativ aussehen zu lassen, ist naturgemäß groß.
Ob das bei den frühen Buddhisten auch der Fall war, ist gar nicht so leicht zu sagen. Es gibt einige Suttas mit Aussagen zu den Überzeugungen Andersgläubiger, aber die Möglichkeiten, diese unabhängig zu überprüfen, sind sehr eingeschränkt. Viele dieser Religionsgemeinschaften sind ausgestorben, und schriftliche Hinterlassenschaften sind rar bis nicht vorhanden.
Eine der wenigen Religionen aus der damaligen Zeit, die bis heute existieren, ist der Jainismus. Und von ihm haben wir sogar schriftliche Zeugnisse, die aber alle jünger sind – oder zumindest später zusammengestellt – als die frühen buddhistischen Texte. Inwiefern spiegeln Aussagen in diesen Texten also Überzeugungen wieder, die die Jainas, denen der Buddha begegnete, hatten?
Bhikkhu Sujato ist im Rahmen seiner Recherchen zu den Beziehungen zwischen den Lehren des Buddha und Vorstellungen und Überzeugungen seiner Zeitgenossen einer Darstellung aus den Lehren der Jainas nachgegangen, die man in DN 2:29.4 und in MN 56:12.2 findet.
sabbavārivārito sabbavāriyutto sabbavāridhuto sabbavāriphuṭo
Er hat dabei Hilfe im Kapitel eines Jaina-Texes gefunden, das tatsächlich dem Jaina-Asketen aus dem Stamm Ñātika (Pali: Nigaṇṭhanāṭaputta) zuzuschreiben ist, der in der Jaina-Tradition Mahāvīra Vardhamāna genannt wird. Und in diesem Fall ließ sich bestätigen, dass eine Lehre dieses Asketen in mehr oder weniger der gleichen Formulierung in diesem Jaina-Text überliefert ist; und mithilfe des dortigen Kontextes konnte auch die Bedeutung des zentralen Begriffes (vāri, das sowohl „Wasser“ als auch „das zu Zügelnde“ bedeuten kann) geklärt werden.
Solche Recherchen erlauben uns, die Aussagen anderer Glaubensgemeinschaften, die in den buddhistischen Texten erwähnt werden, so zu übersetzen, dass wir ihnen gerecht werden und sie nicht (oder möglichst wenig) in einem verzerrten Licht erscheinen lassen.
Lesen Sie Bhikkhu Sujatos interessanten Artikel Vāri und die Zügelung Mahāvīras.
Der Buddha und die Jainas
Eine direkte Begegnung zwischen dem Buddha und dem Anführer der Jainas, dem Jaina-Asketen aus dem Stamm Ñātika, ist weder in buddhistischen noch in Jaina-Texten überliefert. Vielleicht hat es sie tatsächlich nie gegeben. Was wir allerdings finden, sind Berichte über Begegnungen des Buddha mit prominenten Vertretern der Jainas und auch Begegnungen zwischen ihrem Anführer und bedeutenden Schülern des Buddha.
Erwartungsgemäß kommen dabei die Jainas, und insbesondere ihr Anführer, der Jaina Ñātika, nicht besonders gut weg, und vielleicht kann man tatsächlich von einer gewissen „Propaganda“ der buddhistischen Gemeinschaft sprechen. So wird etwa der Jaina Ñātika in SN 41.8 vom Hausbesitzer Citta ausgesprochen verächtlich behandelt, und eine Episode in DN 16:2.5.0 ff berichtet ausführlich, wie Ānanda den Buddha über die Wiedergeburt verstorbener Schüler und Schülerinnen aus Ñātika, der Geburtsstadt des Jaina Ñātika und Hochburg der Jainas, befragt. Diese Passage soll wohl zeigen, dass selbst hier, im Herzen der Jaina-Religion, viele fortgeschrittene Schüler des Buddha lebten.
In Szenen, in denen der Buddha sich mit Jainas unterhält, sehen wir den Buddha aber nicht anders als bei allen anderen Begegnungen: zugänglich, offen für Diskussionen, nicht darauf erpicht, neue Anhänger zu gewinnen, aber stets bereit, dem Fragesteller zu einem besseren Verständnis zu verhelfen. Nicht alle lassen sich von ihm überzeugen, aber wenn das geschieht, ist es wie immer sehr berührend.
MN 56 schildert gleich mehrere Begegnungen zwischen dem Buddha und führenden Vertretern der Jainas, die dabei alle in enger Rücksprache mit ihrem Anführer stehen. Vielleicht ist das die Situation, die einer direkten Begegnung der beiden Religionsführer am nächsten kommt.
Zuerst besucht ein Jaina-Asket den Buddha, ein nigaṇṭha (wörtlich: „Knotenloser“), das Jaina-Äquivalent zum buddhistischen bhikkhu (Mönch).
Interessant bei dieser Begegnung ist, wie die beiden sich zuerst über ihre jeweils unterschiedliche Terminologie verständigen. Statt des sonst gebräuchlichen Wortes „Tat“ (kamma) benutzen Jainas das Wort daṇḍa („Stock“, „Strafe“). Gemäß seiner bekannten Strategie, zunächst immer Gemeinsamkeiten mit seinem Gesprächspartner festzustellen, geht der Buddha auf die Formulierung seines Gegenübers ein und stellt seine Fragen dementsprechend. Umgekehrt akzeptiert darauf der Jaina-Asket Dīgha Tapassī, dass der Buddha seine eigene Lehre in seinen Worten formuliert.
Nach dieser kurzen Unterredung erstattet Dīgha Tapassī seinem Anführer Bericht, und zusammen mit einem Dritten, dem Jaina-Laienschüler Upāli, beraten sie darüber, ob es klug sei, den Buddha zu einer philosophischen Debatte herauszufordern. Dīgha Tapassī spricht sich dagegen aus und soll mit seinen Bedenken Recht behalten.
Denn als Upāli den Buddha in der Absicht besucht, seine Lehre zu widerlegen, kommt es, wie es kommen muss:
„Du bist verrückt, Hausbesitzer! Du bist schwachsinnig! Du sagtest: ‚Ich werde gehen und die Doktrin des Asketen Gotama widerlegen.‘ Aber du kommst zurück und bist in dem weiten Netz seiner Doktrin gefangen. Wie ein Mann, der losging, um ein Paar Hoden zu bringen, und kastriert zurückkommt; oder ein Mann, der losging, um Augen zu bringen, und geblendet zurückkommt: Ebenso sagtest du: ‚Ich werde gehen und die Doktrin des Asketen Gotama widerlegen.‘ Aber du kommst zurück und bist in dem weiten Netz seiner Doktrin gefangen. Du wurdest vom Bekehrungszauber des Asketen Gotama bekehrt!“
Das sind die Worte des Jaina Ñātika, als er Upāli nach dessen Begegnung mit dem Buddha wieder trifft.
Lesen und hören Sie die gesamte Lehrrede MN 56.
* * *
So wie die Jaina-Asketen sich „Knotenlose“ nennen, spricht auch der Buddha in einer Strophe der Sammlung „So wurde es gesagt“ (Itivuttaka; Iti 102:5.1) von der „Erlösung von allen Knoten“, womit er offenbar diesen Ausdruck der Jainas auf seine eigene Art interpretiert. Und mit diesem Lobpreis auf das Erlöschen schließt der heutige Newsletter:
Nicht von Trägen kann es verwirklicht werden, noch von Toren, die nicht verstehen: das Erlöschen, die Erlösung von allen Knoten.
🔸 Neu auf Dhammaregen
Seit dem letzten Newsletter wurde folgender Essay hinzugefügt:
Bhikkhu Sujato, Vāri und die Zügelung Mahāvīras. Zum Essay
Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Suttas hinzugefügt:
MN 96-100
Snp 2.2, Snp 3.9, Snp 5.2, Snp 5.15
Übersicht über alle Übersetzungen
🔸 Sutta-Erkundungen
Die Sutta-Erkundungen sind ein monatliches Online-Format zum Studium der Suttas in einer Gruppe, das sich an die lectio divina aus der alten christlichen Klostertradition anlehnt. Das ermöglicht ein eher meditatives Herangehen an die Suttas. Die Sutta-Erkundungen finden jeden ersten Freitag im Monat statt.
Nächste Termine: 5. September, 3. Oktober und 7. November 2025 jeweils 18:30 – 20:00 h ME(S)Z.
Bei Interesse senden Sie bitte eine E-Mail an dhammaregen@gmail.com. Sie werden dann eine Einladung mit den Zoom-Zugangsdaten erhalten.
🔸 Geleitete Meditation
Für die iSangha-Gruppe des Klosters Tilorien wird von Silashin Sabbamitta am zweiten Dienstag jeden Monats eine angeleitete Meditation in deutscher Sprache angeboten. Der nächste Termin ist der 9. September 2025 von 18:00 bis 19:00 Uhr MESZ. Bei Interesse senden Sie bitte eine E-Mail an dhammaregen@gmail.com, damit Sie in den Verteiler aufgenommen werden und die Zoom-Zugangsdaten erhalten können.
🔸 Newsletter-Empfang
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