Dhammaregen-Newsletter Juni 2025
Neues rund um Dhammaregen und frühe buddhistische Texte
Der heutige Newsletter verfolgt wieder ein kleines Thema durch verschiedene Suttas, die ansonsten auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, nämlich die Bräuche der Angehörigen der verachteten Kaste der caṇḍālā. Und er stellt die neue Webseite Mehr von Dhammaregen vor.
Stangenakrobatik
Dem ersten Brauch begegnen wir in SN 47.19, in dem ein „Bambusakrobat von den Leichenarbeitern“ (caṇḍālavaṁsika) zusammen mit seiner Schülerin akrobatische Kunststücke aufführt. Die Akrobaten werden hier wegen ihres Geschicks und der Tatsache, dass sie aufeinander hören, als Vorbild für das Vorgehen bei der Meditation und der Entwicklung des Pfades herangezogen.
Indem ihr auf euch selbst aufpasst, passt ihr auf andere auf; und indem ihr auf andere aufpasst, passt ihr auf euch selbst auf.
Es scheint eine Verbindung zwischen diesem Sutta und der Strophe von Jātaka 43 zu geben (nur die Strophen der Jātakas sind Bestandteil des Kanon; die dazugehörigen Geschichten – in diesem Fall hier – gehören zum Kommentar). Bhikkhu Sujato kommt jedenfalls in seinem Essay „Schlange oder Akrobat“ zu dem Schluss, dass hier Geschichte und Strophe, obwohl in der Tradition gemeinsam überliefert, nicht aus der gleichen Quelle stammen, und übersetzt die Strophe entsprechend. Lesen Sie den Artikel, der auch einen Blick in die Abgründe zeigt, die sich auftun können, wenn die Moral einer alten Geschichte aus ihrem Zusammenhang herausgenommen und in gewissenloser Weise benutzt wird.
Kommen wir aber zurück zur Stangenakrobatik. In DN 1 und DN 2 wird diese Praxis als etwas erwähnt, das sich Mönche und Nonnen nicht anschauen sollen:
Es gibt manche Asketen und Brahmanen, die Speisen genießen, die aus Vertrauen gespendet wurden, und gleichzeitig noch den Besuch von Vorführungen betreiben: nämlich Dinge wie Tanz, Gesang, Musik, Vorführungen und Geschichtenerzählen, Klatschen, Becken- und Paukenschlag, Schönheitsparaden, Stangenakrobatik und Knochenwasch-Zeremonien der Leichenarbeiter, Kämpfe von Elefanten, Pferden, Büffeln, Stieren, Ziegen, Widdern, Hühnern und Wachteln, Stockkampf, Boxen und Ringen, Gefechte, Appelle der Streitkräfte, Schlachtordnungen und Manöverkritik.
Diese Aufzählung, die im Prinzip überall da einzusetzen ist, wo die „stufenweise Schulung“ in abgekürzter Form erwähnt wird, vermittelt einen interessanten Einblick in die Unterhaltungskultur im frühen Indien. Neben der Stangenakrobatik wird auch eine weitere Darbietung durch Leichenarbeiter genannt, nämlich „Knochenwasch-Zeremonien“, und wir wollen uns anschauen, was es damit auf sich hat.
Knochenwaschen
Hier scheinen die „Leichenarbeiter“ sich nicht bloß beruflich mit Toten zu befassen, sondern sie pflegen offenbar auch einen seltsamen Brauch mit ihren Verstorbenen. Dieser wird in AN 10.107 erwähnt, wo viele Übersetzer ihn missverstanden haben, da das Wort „Knochen“ im Text des Sutta nicht ausdrücklich genannt ist. Der Kommentar zu DN 1 erklärt das Wort „Waschen“ (dhovana) aber folgendermaßen:
Dhovana heißt „Knochenwaschen“. Es scheint, wenn in gewissen Ländern ein Angehöriger stirbt, verbrennen sie ihn nicht, sondern begraben ihn. Wenn sie dann wissen, dass der Körper verwest ist, graben sie die Knochen aus. Sie legen sie an einen bestimmten Platz mit Alkohol usw., und während sie weinen und klagen, trinken sie den Alkohol. Denn es heißt (in AN 10.107): „Mönche und Nonnen, in den südlichen Ländern gibt es eine Zeremonie, die ‚[Knochen]waschen‘ heißt. Dort haben sie Essen, Trinken, Imbisse, Mahlzeiten, Erfrischungen und Getränke und auch Tanz, Gesang und Musik. Es gibt ein solches Waschen, das streite ich nicht ab.“ Aber manche sagen, das Waschen sei Knochenwaschen mit Indras Netz.
Der Ehrwürdige Nyānatiloka zitiert diese Bemerkung des Kommentars in einer Anmerkung zu seiner Übersetzung von AN 10.107, und als ich sie zum ersten Mal las, kam mir die Sache so abstrus vor, dass ich sie nicht wirklich ernst nahm. Aber anscheinend sind solche Zeremonien gar nicht so ausgefallen, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Es gab und gibt sie in vielen Kulturen an den unterschiedlichsten Orten der Welt, wie Bhikkhu Sujato in seinem Essay zum Thema an einigen Beispielen zeigt.
Das Ritual dient wohl dem Zweck, die Trauer um Verstorbene besser zu bewältigen. Der Buddha stellt dem „Knochenwaschen“ der Leichenarbeiter in AN 10.107 allerdings ein „edles Waschen“ gegenüber, das nicht bloß zur Linderung von Trauer, sondern zur Befreiung von allem Leid führt.
Lesen und hören Sie das Sutta AN 10.107, und lesen Sie auch Bhikkhu Sujatos Essay über das Knochenwaschen.
Mehr von Dhammaregen
Die Webseite Dhammaregen wurde entwickelt, um die Suttas für deutschsprachige Dhammastudierende leicht zugänglich zu machen, insbesondere für solche, denen die Fülle von SuttaCentral zu komplex ist, oder für solche, die die Lehre des Buddha auch gerne durch Hören erkunden. Inzwischen haben sich im Wiki-Bereich der Seite aber allerhand Übersetzungen von Essays und Ähnlichem aus dem Englischen angesammelt, die in verschiedener Hinsicht für das Studium und die Praxis des Dhamma aus der Perspektive der frühen Texte von Interesse sind.
Um für diese Texte eine angemessene Präsentation bieten zu können, wurde nun Mehr von Dhammaregen als jüngere Schwester von Dhammaregen aufgebaut. Sie befindet sich auf der Plattform Substack, die von vielen renommierten Autorinnen und Autoren genutzt wird. Für eine Übergangszeit sind alle Essays momentan auf beiden Webseiten zu finden, bevor Mehr von Dhammaregen schließlich ihr neues Heim sein wird. Auch dieser Newsletter wird dort in Zukunft zu Hause sein.
Ein herzliches Dankeschön geht an dieser Stelle an Klaus Wollsieffer, der, wie bereits für die Dhammaregen-Hauptseite, bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften zur Datenschutzerklärung eine großartige Hilfe war.
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Und nun viel Spaß beim Stöbern durch Mehr von Dhammaregen!
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Der Newsletter schließt mit einer Strophe aus dem Itivuttaka als Gegengewicht gegen jede Art von Hassrhetorik:
Töte nicht und stifte nicht andere zum Töten an,
erobere nicht und stifte nicht andere zum Erobern an.
Mit Liebe zu allen Lebewesen
hegst du keine Feindschaft gegen irgendjemanden.
🔸 Neu auf Dhammaregen
Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Essays hinzugefügt:
Bhikkhu Sujato, Nun, das war unerwartet: Knochenwaschrituale bei den Kastenlosen in Südindien: zum Essay
Bhikkhu Sujato, Schlange oder Akrobat – Jātaka 43: zum Essay
Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Suttas hinzugefügt:
MN 92; Snp 3.7; Ja 24-45
Übersicht über alle Übersetzungen
🔸 Sutta-Erkundungen
Die Sutta-Erkundungen sind ein monatliches Online-Format zum Studium der Suttas in einer Gruppe, das sich an die lectio divina aus der alten christlichen Klostertradition anlehnt. Das ermöglicht ein eher meditatives Herangehen an die Suttas. Die Sutta-Erkundungen finden jeden ersten Freitag im Monat statt.
Nächste Termine: 6. Juni, 4. Juli und 1. August 2025 jeweils 18:30 – 20:00 h ME(S)Z.
Bei Interesse senden Sie bitte eine Email an dhammaregen@gmail.com. Sie werden dann eine Einladung mit den Zoom-Zugangsdaten erhalten.
🔸 Geleitete Meditation
Für die iSangha-Gruppe des Klosters Tilorien wird von Silashin Sabbamitta am zweiten Dienstag jeden Monats eine angeleitete Meditation in deutscher Sprache angeboten. Der nächste Termin ist der 10. Juni 2025 von 18:00 bis 19:00 Uhr MESZ. Bei Interesse senden Sie bitte eine Email an dhammaregen@gmail.com, damit Sie in den Verteiler aufgenommen werden und die Zoom-Zugangsdaten erhalten können.
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