Dhammaregen-Newsletter Oktober 2022
Neues rund um Dhammaregen und frühe buddhistische Texte
Der heutige Newsletter macht einen Ausflug in die deutsche Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts. Er erkundet auch ein bisschen einige der engeren Verwandten des Buddha. Außerdem geht es um Achtsamkeit, noch ein paar weitere Aufsätze, und wie immer gibt es auch neue Sutta-Übersetzungen.
Rilke und der Buddha
In einem früheren Newsletter habe ich den Ehrwürdigen Vaṅgīsa wegen seiner hohen Dichtkunst mit Rilke verglichen. Damals war ich mir nicht bewusst, dass Rainer Maria Rilke sich in seinem Werk tatsächlich mit dem Buddha auseinandergesetzt hat. Es gibt drei Gedichte, die er ihm gewidmet hat. Eine Sendung des Schweizer Radios und Fernsehens hat sich damit befasst (28 Minuten):
Das dritte Gedicht (1908):
Buddha in der Glorie Mitte aller Mitten, Kern der Kerne, Mandel, die sich einschließt und versüßt, – dieses Alles bis an alle Sterne ist dein Fruchtfleisch. Sei gegrüßt. Sieh, du fühlst, wie nichts mehr an dir hängt; im Unendlichen ist deine Schale, und dort steht der starke Saft und drängt. Und von außen hilft ihm ein Gestrahle, denn ganz oben werden deine Sonnen voll und glühend umgedreht. Doch in dir ist schon begonnen, was die Sonnen übersteht
(Man findet alle drei Gedichte hier.)
Zum Vergleich Vaṅgīsa, der den Buddha „mit passenden Strophen rühmt“ (in meiner Übersetzung, die mit Rilkes Sprachkunst vielleicht nicht ganz mithalten kann):
SN8.8:3.1-6.4: „Über tausend Mönche und Nonnen verehren den Heiligen, wie er den unbefleckten Dhamma lehrt, das Erlöschen, allseitige Furchtlosigkeit. Sie lauschen dem unbefleckten Dhamma, der vom vollkommen erwachten Buddha gelehrt wird; so glänzend ist der Buddha, wie er vor dem Saṅgha der Mönche und Nonnen sitzt. Gesegneter, dein Name ist ‚Riese‘, der siebte der Weisen. Du bist wie eine große Regenwolke, die auf deine Schüler herabregnet. Ich habe mich von meiner Meditation des Tages erhoben, weil ich den Lehrer sehen wollte. Großer Held, dein Schüler Vaṅgīsa verbeugt sich zu deinen Füßen.“
Beide benutzen kosmische Symbole, um den Buddha zu beschreiben, und stellen ihn als groß, ja überragend dar. Der „siebte der Weisen“, dieses von Vaṅgīsa benutzte Bild, bezieht sich auf das Sternbild des Großen Wagens, das aus sieben Sternen besteht, und in seinem ersten Gedicht nennt Rilke den Buddha einen „Stern, der von anderen großen Sternen umstanden ist“ – ohne dass er sich je mit buddhistischer Literatur befasst hätte. Seine Auseinandersetzung mit dem Buddha geschah durch das bloße Betrachten von Statuen und die intuitive Resonanz, die diese in ihm hervorriefen. Was ich sehr berührend finde! ❤️
Tissa, Cousin des Buddha von väterlicher Seite
Ebenfalls in einem früheren Newsletter haben wir Nanda, den Cousin des Buddha von mütterlicher Seite, kennengelernt. Wir wissen wohl, dass viele Mitglieder der erweiterten Familie des Buddha dem Orden beitraten, doch als „Cousin“ sind in den Suttas nur zwei ausdrücklich benannt: Nanda, den wir bereits kennen, und Tissa, ein Cousin von väterlicher Seite, der uns in SN 22.84 begegnet. Interessanterweise gibt es zwischen ihnen ein paar Parallelen:
Beide spielen mit dem Gedanken, aus dem Orden auszutreten; wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen.
Der Buddha lässt sie rufen und kümmert sich persönlich um ihr Problem.
In beiden Fällen – und nur in diesen beiden Fällen – verwendet der Buddha den Ausruf: „Freue dich, freue dich!“ Allerdings könnten die damit verbundenen Aussagen unterschiedlicher kaum sein:
In Ud 3.2:
„Freue dich, Nanda, freue dich! Ich sichere dir fünfhundert taubenfüßige Nymphen zu.“
In SN 22.84:
„Freue dich, Tissa, freue dich! Ich bin hier, um euch zu unterweisen, euch zu helfen und euch zu lehren.“
Menschen sind eben verschieden, und der Buddha besaß in meisterhafter Weise das Fingerspitzengefühl, um ihnen über ihre Schwierigkeiten hinwegzuhelfen.
Mehr zur Persönlichkeit des Ehrwürdigen Tissa erfahren wir noch in SN 21.9. Zu seinem Theragāthā-Gedicht in Thag 1.39 sagt der Kommentar:
Er war der Sohn der Tante des Buddha und wurde Mönch. Er zeigte gegenüber seinen Mitmönchen stolzes und überkritisches Verhalten wegen seiner Verwandtschaftsbeziehung zum Buddha und folgte daher nicht wirklich der Schulung. Der Buddha beobachtete ihn eines Tages mit seiner Hellsichtigkeit, wie er mit offenem Mund ein Mittagsschläfchen hielt. Er kam zu ihm, schwebte über ihm in der Luft und weckte ihn mit den Worten, die Tissa später in seinem Theragāthā wiederholt:
„Wie wenn er von einem Schwert getroffen wäre, wie wenn sein Kopf in Flammen stünde, so soll ein Mönch achtsam wandern, um sinnliches Verlangen aufzugeben.“Dieses Erlebnis spornte Tissa an, sodass er tatsächlich das Ziel der Vollendung erreichte.
(Paraphrasiert nach einer englischen Übersetzung von C.A.F. Rhys Davids.)
Wenn ich alle Tissa-Texte zusammen betrachte, denke ich, der Text in SN 21.9 und die im Kommentar erzählte Episode kamen zuerst, und nachdem Tissa sich wirklich ernsthaft der Übung widmete, aber vielleicht nicht so vorankam, wie er das hoffte, verlor er etwas den Mut. Das ist wohl der Moment, an dem wir die Szene in SN 22.84 einzuordnen haben.
Nachdem er sein Ziel erreicht hat, wiederholt Tissa dann in seinem Theragāthā-Gedicht die Zeilen, mit denen der Buddha ihn aufgerüttelt hatte, vielleicht, um der Nachwelt diese Botschaft mitzugeben, die für ihn von so überaus großem Segen war: Er hatte das große Glück, dass der Buddha persönlich für ihn da war, um „ihn zu unterweisen, ihm zu helfen und ihn zu lehren“ – und wir haben zumindest noch den Dhamma, zu dessen Bewahrung auch Tissa seinen Beitrag geleistet hat!
Neu auf Dhammaregen
Heißt Satipaṭṭhāna „Achtsamkeitsmeditation“?
Auf diese Frage, die mir gestellt wurde, antwortet dieser Artikel mit einigen Notizen aus Bhante Sujatos Buch „Eine Geschichte der Achtsamkeit“.
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Seit dem letzten Newsletter wurden folgende Suttas hinzugefügt:
MN 109
SN 22.80-159, somit ist SN 22 jetzt vollständig; SN 44.2, SN 46.3, SN 46.54
Thag 1.39, Thag 1.97, Thag 2.17, Thag 2.40
Übersicht über alle Übersetzungen
Sutta-Erkundungen
Die Sutta-Erkundungen sind ein monatliches Online-Format zum Studium der Suttas in einer Gruppe, das sich an die lectio divina aus der alten christlichen Klostertradition anlehnt. Das ermöglicht ein eher meditatives Herangehen an die Suttas.Die Sutta-Erkundungen finden jeden ersten Freitag im Monat statt.
Nächster Termin: 7. Oktober 2022, 18:30 – 20:00 h MESZ.
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